Ich schüttle ganz gewiss nicht den Kopf, wenn ich Deinen Bericht lesen, sondern lächle viel mehr in mich hinein.
Einstieg
Denn der Bericht liest sich wie eine Mitschrift des Einstiegsabenteuers meiner ersten langjährigen Rollenspielrunde.
Szene eins führte uns – mit dem Auftrag ein entführtes Mädchen vor seiner Opferung zu retten – ans Tor der Stadt, wo um das Wohl der Gruppe besorgte Wachen den Ausgang ins gefährliche Orkland verbieten wollten.
"Natürlich" haben wir die Wachen alle umgebracht und peinlichst genau über erbeutete Waffen und Rüstungen Buch geführt, um sie später zu verkaufen und haben wegen des "Realismus" sogar das Gewicht mit aufgenommen.
Auch durch das Töten von Gegnern gewonnene Abenteuerpunkte wurden dabei stets penibel und für jeden Charakter separat notiert.
Klar dass in diesem Fall Fragen wie:
- "Wo kommen eigentlich die ganzen Skelette her?"
- "Was machen sie den lieben langen Tag, wenn gerade Mal keine Helden vorbeikommen, um sie in Stücke zu hauen?"
- "Wie gruselig ist die aktuelle Szene eigentlich?", etc.
zugunsten von Fragen wie
- "Warum bekommt X schon wieder zwei Skelette und ich nur eins, der hatte doch schon drei?"
vollkommen in den Hintergrund traten.
Entwicklung
Nun, die Runde hätte sicher nicht so viele Jahre Bestand gehabt und sich zu einer der geliebtesten entwickelt, in denen ich je gespielt habe, wenn mit der Zeit nicht ein Wandel stattgefunden hätte.
Ein Wandel so drastisch, dass wir auf die "Sünden" und "Fehler" der Anfangszeit nicht selten schmunzelnd mit der Frage "... wie kamen wir eigentlich auf so eine absurde Idee?" zurückblickten.
Insofern also erst einmal: "Kopf hoch!" – Deine Situation ist ganz gewiss kein Einzelfall.
Ursachenforschung
Ich für meinen Teil sehe die Ursachen für unseren ein wenig holprigen Start in einer ganzen Reihe von Faktoren begründet.
Belohnung
Beim Blick auf das Beispiel von oben springt der Faktor Belohnung recht deutlich ins Auge.
Hier versuchten wird einerseits unser natürliches Bedürfnis nach Belohnung auf der primitiven Ebene von Spielwelt und Spielmechanik zu stillen:
- durch das Erbeuten von Waffen und Rüstungen
- durch das Einstreichen der Belohnung für die Befreiung des Opfers
- durch das Gewinnen von Erfahrungspunkten für getötete Gegner
Und hatten die zutiefst befriedigende, auf abstrakter Ebene liegende Belohnung
- durch das Gestalten und Erleben einer interaktiven Erzählung weder zuvor erlebt noch als solche erfasst.
Andere Rollenspiele
Begünstigend auf das oben angeführte Verständnis dürfte sich der Weg ausgewirkt haben, auf dem wir seinerzeit zum Pen & Paper Rollenspiel fanden: Computer-Rollenspiele und das von Dir genannte Brettspiel HeroQuest.
- beide basieren auf dem Kozept: Jäger und Sammler
- beide fordern ein striktes Einhalten der Strategie "Töte so viele Gegner und horte so viele Schätze wie möglich", um sie erfolgreich zu bestehen
- beiden bieten keine der oben genannten Gestaltungsmöglichkeiten eines Pen&Paper Rollenspiels
Erfahrung
Nicht zu zu vernachlässigen ist ferner unsere mangelnde Erfahrung im Umgang mit einem kooperativen Spiel, bei dem es "keine Gewinner und Verlierer gibt."
Fragen wie: "Wer tötet schneller wie viele Gegner?" zeigen recht deutlich, dass es uns nicht gelungen war uns
- von bekannten auf Konkurrenz basierenden Spielprinzipien anderer Spiele zu lösen
Sondern wir vielmehr versuchten uns vertraute Konzepte
- krampfhaft über Wettstreits zurück ins Spiel zu holen.
System
Ein weiterer die Gewaltbereitschaft begünstigender Faktor ist sicher auch ein in typischen Regelwerken
- vergleichsweise hoher Umfang von Regeln rund um das Thema Kampf
Begünstigt er doch die naheliegende Vermutung:
- je mehr Seiten einem Spielelement gewidmet ist, desto wichtiger wird es gewiss sein.
Oder anders formuliert: Geht es in der Hälfte des Regelwerks um nichts anderes als Kampf, dann macht sicher auch Kampf die Hälfte der Spielzeit aus.
Was tun?
Bei der Frage "Was tun?" bin ich ganz eng bei
@Supergerm und
@tobrise .
Versuche zu ergründen, was Deine Spieler von einem Pen & Paper Rollenspiel erwarten.
Möchten sie gerne ausschließlich Kämpfe würfeln, dann sind sie mit Tabletop mit Rollensiel-Elementen wie z.B. Eurem HeroQuest Brettspiel sicher besser aufgehoben, als bei einem Spielleiter, der versucht ihnen mit Zwangsmaßnahmen und Strafe ein Spiel aufzudrängen, auf das sie eigentlich gar keine Lust haben.
Andernfalls kann jede der oben genannten Ursachen zugleich ein Ansatzpunkt sein.
Belohnung
Versuche die Spieler nicht ausschließlich auf der Ebene von Gold und Erfahrungspunkten und materiellem Besitz zu belohnen, sondern versuche auch die Ziele zu ergründen, die ihnen bei der Entwicklung ihrer Charaktere besonders wichtig sind, z.B.
- das Erringen eines Adelstitels, die Mitgliedschaft in einer Geheimorganisation, Kontakt zum inneren Kreis eines Magierzirkels
Und biete ihnen Möglichkeiten diesen Zielen schrittweise näher zu kommen.
Andere Rollenspiele
Integriere interessante Handlungsoptionen und gebe den Spielern die Möglichkeit Entwicklungen in der Spielwelt mit ihren Entscheidungen aktiv mitzugestalten.
Setze sie z.B in die Rolle von Beratern, Entdeckern oder Pionieren, die bei der Erkundung oder der Erschließung eines Landstriches mitwirken.
Einen König, der nach der Expertise der Abenteurer in einer dringenden Angelegenheit fragt zu erschlagen, löst das Problem ganz offensichtlich nicht.
Lasse die Spieler die Interaktivität der Spielwelt spüren, indem von ihnen angestoßene Veränderungen der Spielwelt - auch kleinste - auf sie zurückwirken.
Erfahrung
Ich bin mir sicher, dass ich mir mit dieser Empfehlung nicht nur Freunde machen werde, doch ist sie meiner Ansicht nach eine der wichtigsten:
- Alle Spieler erhalten stets die selbe Anzahl an Erfahrungspunkten.
Ja, richtig: KEINE Extra-Belohnun für: getötete Gegner, gutes (was immer das ist?) Rollenspiel, besondere Gefälligkeiten für den Spielleiter oder was-auch-immer.
Eine individuelle Vergabe von Erfahrungspunkten widerspricht dem fundalen Konzept eines kooperativen Spiels, in dem es "keine Gewinner und keine Verlierer" gibt, denn eine Vergabe unterschiedlicher Erfahrungspunkte kann:
- als Auszeichnung von "Gewinnern" und "Verlierern" verstanden werden
- das Konkurrenzdenken unter den Spielern fördern
System
Einen besonders tückischen Stolperstein räumt die folgende Empfehlung aus dem Weg:
- Es gibt keine Erfahrungspunkte für getötete Gegner
Obowohl für Pen & Paper Systeme nahezu typsich ist die Vergabe von Erfahrungspunkten fürgetötete Gegner im Hinblick auf die Gewaltbereitschaft der Spieler eine der schädlichsten Regeln.
- Kampf IST die optimale Lösung in Systemen, die eine solche Vergabe vornehmen.
Ausweichoption
Schließlich bietet sich natürlich noch die folgende Vermeidungsstrategie:
Ziehen die Spieler ein kampflastiges Spiel vor und "Lösen" Probleme gerne gewaltsam, dann passe die Handlung der Abenteuer auf ihre Bedürfnisse an.
Stelle ihnen die NSCs, die beim dritten Nein bedroht und umgebracht werden erst gar nicht in den Weg.
Sondern konfrontiere sie mit Gefahren, in denen ihre kämpferischen Fähigkeiten gefordert sind.
- Mörder und Halunken, die erst gar nicht auf das dritte Nein warten, sondern ihren Mitmenschen unvermittelt nach dem Leben trachten.
- Hirnlose Zombies, Vampire, Dämonen, etc.