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Meine Herren, ich möchte euch hier einen Artikel vorstellen, der ganz ideal in die laufenden Diskussionen im Löwenclub anknüpft.
Wieder einmal war André Wiesler so nett mir diesen Artikel, der aus dem Envoyer 11/2008 (der letzten Ausgabe vor der Vereinigung mit der SpielXPress) stammt, zur Verfügung zu stellen. Vielen Dank an dieser Stelle an ihn.
Dieser Artikel greift gleich mehrere Diskussionen auf und unter anderem darum sei ihm ein eigenes Thema gegönnt. Er geht auf die gute alte Zeit ein, er wagt einen Ausblick in die Zukunft, er geht auf erste Cons ein und steht im direkten thematischen Bezug zu Frank Hellers Pen & Paper Rollenspiel am Ende. Darüber hinaus zeichnet er meines Erachtens ein sehr sympathisches Bild des Autors. Aber lest selbst.
(Da es sich wieder um eine PDF-Extraktion handelt, bitte ich um Nachsicht, was Absatztrennungen angeht.)
Mit den letzten Ausgaben des Jahres 2008 geht eine lange „Karriere“ des Envoyer als eigenständige Publikation zu Ende. Und auch wenn das Heft als Teil des SpielxPress weiterleben wird, so kommt man doch ein bisschen ins Grübeln, vor allem, wenn man selbst schon längere Zeit „dabei“ ist…
Es gab eine Szene vor dem Envoyer, und es wird auch eine danach geben. Und ebenso sicher waren bei Weitem nicht alle Rollenspieler Freunde des Magazins. Trotzdem schleichen sich eingedenk dieses Ereignisses heimtückisch die Überlegungen an, wie lange man sich selbst schon mit unserem Hobby beschäftigt und was sich in dieser Zeit alles geändert hat. Und ausgehend von diesen Gedanken habe ich mich bald gefragt, wie sich das Rollenspiel in Deutschland entwickelt hat, seit es irgendwann in den frühen Achtzigern seinen Anfang genommen hat. Ihr wisst schon, die Sorte Geschichten und Anekdoten, die meistens mit „Ich war damals…“ anfangen und irgendwann mit „Das war halt eine andere Zeit.“ enden.
Damit ihr aber nicht nur die Gedanken eines Einzelnen mitbekommt, hat der Envoyer dankenswerterweise eine Umfrage gestartet, um eine möglichst breite Meinungsvielfalt zu diesem Thema darstellen zu können. Die Meinungen, die ich dabei gelesen habe, sind dann natürlich in diesen Artikel eingeflossen. Zunächst einmal möchte ich euch den Typen etwas näher bringen, der diese Zeilen in den PC hackt, damit ihr euch selbst ein Bild davon machen könnt, was ihr von den folgenden Aussagen zu halten habt. In diesem Sinne…
Gestatten, Ralf Sandfuchs
Mein erstes Rollenspiel hielt ich im Herbst 1984 in den Händen, auf der Abschlussfahrt meiner Freundin, die ich aus irgendwelchen abstrusen Gründen nach Frankreich begleiten durfte, obwohl ich gar nicht in ihrem Jahrgang war.
Dieses erste Regelwerk war die gute alte D&D-Basis-Box in Rot, erschienen im November 1983 beim Fantastische-Spiele-Verlag. Ich wusste anfangs nicht wirklich, was ich von diesem „Rollenspiel“ halten sollte, doch eine kurze Runde an einem Abend in der Jugendherberge später hatte mich das Hobby am Haken, von dem ich seitdem nicht mehr losgekommen bin.
Kurze Zeit später gründeten wir als Spielrunde den D&D-Club Plündert Ratingen!, aus dessen Mitte später wiederum viele führende Mitglieder der Gilde der Fantasy-Rollenspieler entstammten. Die GFR und vor allem ihr Magazin Windgeflüster (das ich damals mit aus der Taufe hob) waren schließlich auch schuld daran, dass ich mich immer mehr für die schreiberische Seite des Rollenspiels interessierte. Irgendwann wurde ich dann Hausautor für Plüsch, Power & Plunder und Ruf des Warlock, später auch immer wiederkehrender Schreiber für Cthulhu. 1997 gründete ich mit zwei Partnern einen neuen Verlag, aus dem später Krimsus Krimskrams-Kiste wurde, ein Herausgeber, der sich sowohl mit Kartenspielen als auch mit Rollenspielen der etwas anderen Art befasste.
Inzwischen habe ich für verschiedenste Verlage und Magazine geschrieben, habe mich aber aus der Vereins- und Fanzine-Szene weitestgehend zurückgezogen. Einige der alten Verbindungen sind natürlich immer noch vorhanden, und ich hoffe, dass ich bei meinen früheren Kollegen hin und wieder noch ein gerngesehener Gast bin. Vielleicht kann man so auch noch mal an der einen oder anderen Strippe ziehen, um etwas in die Richtung zu bewegen, die einem zusagt.
Es ist auf jeden Fall viel passiert, seit ich der (halbwegs) junge Fan war, der vor vierundzwanzig Jahren sein erstes Dungeon durchwanderte. Und von daher, glaubt mir, wenn ich Euch sage:
Damals war alles besser!
1981 erschien mit Midgard das erste deutsche Rollenspiel in nennenswerter Auflage, 1982 folgten Sternengarde und 1983 Dungeons & Dragons, bevor 1984 der spätere Marktführer Das schwarze Auge seine erste Ausgabe erlebte.
Es gab damals kaum einen reinen Rollenspiel- Verlag. Der Fantastische-Spiele-Verlag, der hinter Sternengarde und D&D stand, gehörte zu ASS, Das Schwarze Auge wurde von Schmidt Spiele verlegt. Das hatte natürlich den Vorteil, dass die bestehenden Vertriebskanäle genutzt werden konnten.
Rollenspielbücher standen im normalen Spielwarenhandel, und im Fernsehen (damals noch aus gerade mal drei Programmen bestehend) liefen Werbespots, die das neue Hobby dem staunenden Publikum nahe brachten. Die Spiele wurden vielleicht nicht zu dem bahnbrechenden Erfolg, den sie Jahre zuvor in Amerika gefeiert hatten, doch es entwickelte sich rasch eine florierende Szene, die sich auf Spielertreffen und mit Briefketten selbst organisierte. Das Wichtigste war jedoch etwas anderes: Fantasy war auf einmal nicht mehr etwas, was man in Romanen, Hörspielen und Filmen vorgesetzt bekam; man erlebte es selbst, und man konnte seine eigenen Welten gestalten und ausleben. Ein völlig neuer und für viele faszinierender Gedanke.
Die deutsche Fantasy-Szene stand vor einer Zeit der Veränderungen. Es gab auf einmal eine neue Art sich kreativ auszudrücken, und viele heute bekannte Autoren wie Thomas Finn und Bernhard Hennen fanden in den aufstrebenden Rollenspielen die geeignete Spielwiese für ihre kreativen Ideen. Es gab auf einmal die Möglichkeit, seinen Namen auf dem Cover eines Buches zu sehen. Und selbst die Leute, die nicht für die kommerziellen Verlage schreiben konnten oder wollten, hofften auf einmal, dass sie mit ihren Mitteln jemanden erreichen konnten. Dutzende von hoffnungsvollen Autoren hackten ihre Ideen in Computer- oder Schreibmaschinentastaturen und saßen danach Abend für Abend mit Schere und Klebstoff am Wohnzimmertisch, um die so entstandenen Artikel mit selbst gemalten oder einfach aus existierenden Quellen herauskopierten Bildern zu versehen. Die entstandenen „Druckvorlagen“ wurden im nächstgelegenen Copyshop durch den Kopierer gejagt, und fertig war das eigene Fanzine.
So entstanden Unmengen von Heften, die einen stetigen Fluss von Abenteuern und Weltbeschreibungen lieferten. Die Frage nach inhaltlicher oder optischer Qualität stellte sich häufig nicht wirklich. Es war eine Zeit der Träume, die Goldgräberstimmung am Beginn eines neuen Zeitalters, ein Gefühl, das bald die ganze Szene erfasste. Eigene Systeme entstanden. Jeder sah sich als kommender Autor des neuen D&D, des neuen DSA. Es war eine naive Welt voller Hoffnung.
Um dies zu verstehen, muss man noch einige andere Dinge in Betracht ziehen. Die Computer der damaligen Zeit hatten nicht einmal die Rechenleistung eines heutigen Handys. Ausdrucke entstanden auf Neun-Nadel-Druckern (was nichts weiter bedeutet, als dass neun Pünktchen ausreichen mussten, um einen Buchstaben darzustellen; versucht das mal zuhause). Grafiken auszudrucken war schlicht und ergreifend technisch unmöglich, der Kopierer bei der Arbeit wurde unser bester Freund.
Vor allem aber bedeutete diese Low-Tech- Umgebung, dass es kaum eine Alternative zum Rollenspiel gab. Damalige Computer-Abenteuer waren häufig rein textbasiert, ließen meistens nur wenige Möglichkeiten zum eigenen Handeln offen und konnten nicht zeigen, was sich in der fremden Welt abspielte.
Wenn man also ein wenig Phantasie einbrachte, war Rollenspiel die stärkere Alternative, die einfach mehr Möglichkeiten bot. Erste überregionale Vereine wie die GFR und der 252 e.V. brachten die Spieler zusammen und gaben ihnen Partner in ganz Deutschland, mit denen man neue Ideen austüfteln konnte. Die Fanzines waren daher neben ihrer Rolle als Ideenlieferanten vor allem auch Kommunikationsmittel. Die Spiel in Essen sowie einige Groß-Cons (STARD und PhanCon beispielsweise) wurden zu wichtigen Anlaufstellen der Szene. Man traf sich dort untereinander, versuchte gelegentlich sogar (mit wechselhaftem Erfolg), sich der unwissenden Öffentlichkeit zu präsentieren.
Rollenspieler waren eine große Familie, auch wenn es immer den einen oder anderen bösen Stiefbruder gab, den man lieber nicht dabei hatte.
Dabei stellte sich aber recht bald heraus, dass Rollenspiel ein Jungs-Ding war und größtenteils auch blieb. Weibliche Wesen blieben meistenteils in Scharen dem Hobby fern. Wenn sie jedoch auftauchten, wurden sie gerne aufgenommen. Beides resultierte sicherlich auch aus dem Loser- oder Nerd-Image, das dem Rollenspieler an sich schon damals anhaftete, auch wenn er dies nicht bemerkte oder auch bemerken wollte. Trotzdem (oder gerade deshalb?) entwickelte sich auch so manche feste Bindung oder sogar Ehe zunächst an einem Spieltisch. Auf so manchem Spielertreffen retteten die wenigen anwesenden Frauen sogar die Gesundheit der Anwesenden, denn sie schafften es essbare und verträgliche Speisen zuzubereiten, denen nicht das unbeschreibliche Aroma angebrannter Zutaten anhaftete. Wir danken unseren Damen von damals noch heute!
Selbst das Aufkommen immer besserer Computer und damit verbunden besserer Grafiken schien anfangs dem Rollenspiel und seiner schönen Traumwelt jenseits der Realität keine Konkurrenz machen zu können.
Obwohl die Menschen plötzlich keine eigene Fantasie mehr brauchten, um fremde Welten zu besuchen, lebte das gute alte Rollenspiel einfach parallel dazu weiter. Wir glaubten immer, wir stünden ganz kurz vor dem endgültigen Durchbruch: es gab so viele Menschen, die Fantasy, Science Fiction oder Horror mochten; irgendwann würden sie schon erkennen, wie sie diese Vorliebe spielerisch am besten ausleben konnten, dessen waren wir uns alle sicher!
Doch dann kam ein kleines Kartenspiel daher und zertrümmerte die schöne Seifenblase: Magic – The Gathering. Fast im Handstreich nahm es die Szene für sich ein. Gestandene Rollenspieler sammelten auf einmal kleine bunte Kärtchen und droschen mit diesen aufeinander ein. Die Regelbücher verstaubten im Schrank.
Ein Grund dafür war neben der deutlich geringeren Komplexität von Magic sicherlich auch die Altersstruktur der Szene. Es gab viele alte gestandene Recken, doch wenig Zufluss an frischem Blut.
Die alten Herren jedoch wurden gesetzter. Beruf, Ehe und Familie erforderten viel Zeit, und so mancher legte das Schwert nieder, weil er das Gefühl hatte, dass er keine Zeit mehr für eine ausgedehnte Kampagne hatte. Eine Runde Magic ließ sich da schon eher unterbringen.
Zeitgleich feierte auch Games Workshop seinen Durchmarsch an die Spitze der Tabletop- Zunft, und auch dieses Hobby grub dem Rollenspiel das Wasser ab. Man brauchte keine ganze Runde zusammen zu kriegen, um abends Figuren zu bemalen, und für eine Schlacht brauchte man nur einen Gegner, keine ganze Truppe von Gefährten.
Die Rollenspiel-Szene schlingerte durch die nächsten Jahre hindurch, und viele Versuche, auf den rasenden Sammelkarten-Zug aufzuspringen, endeten in heftigen Bruchlandungen. Nur wenige Spiele (wie die erste World of Darkness) konnten auch in dieser Zeit Erfolge feiern, doch viele andere blieben entweder gänzlich auf der Strecke oder wurden zu Hobby-Produkten, für die nur alle Jubeljahre mal etwas erschien.
Schlimm für die Rollenspiel-Szene war auch das stetige Aufkommen immer besserer Computer und Spielkonsolen und auch immer aufwändigerer Software. Inzwischen konnten die Bilder auf den Monitoren fast mit allem mithalten, was die Fantasie der Benutzer an Vorstellungen produzierte, und auch hier galt wieder der Grundsatz, dass man alleine auf Abenteuer ziehen konnte, ohne sich zu verabreden, von der Gemütlichkeit des eigenen Schreibtischs aus. Und die gezeigten Bilder übertrafen sicherlich noch die Ergebnisse mancher Vorstellungskraft. Es ist eben bequemer, einfach das zu erleben, was andere sich ausgedacht haben, ohne sich selbst anstrengen zu müssen.
Spätestens mit dem Auftauchen von Online- Rollenspielen wie World of Warcraft wurden dann endgültig die ersten Nägel in den Sargdeckel über dem althergebrachten Rollenspiel getrieben. Der Absatz an Regelwerken und Quellenbüchern brach dramatisch ein, und es vollzog sich ein ebenso dramatischer Wechsel in der Wahrnehmung dessen, was ein Rollenspiel eigentlich ist.
Wer heute den Begriff „Rollenspiel“ benutzt, meint in den meisten Fällen WoW und seine Ableger. Unser altes Hobby bekam den neudeutschen Zusatz „Pen & Paper“, um es unterscheidbar zu machen. Geld wurde häufig nicht mehr mit der Produktion von Regelbüchern und Zusatzbänden gemacht, sondern mit den dazugehörigen Software- Lizenzen oder auch Romanen und Hörbüchern.
Viele, auch große Verlage mussten mit rapiden Umsatzrückgängen klarkommen und konzentrierten sich auf das Kerngeschäft, also die erfolgreichen absatzstarken Spiele. Nischen-Produkte und Liebhaber-Spiele wurden aus den Katalogen gestrichen oder gar nicht erst in die Liste der Verlagsprodukte aufgenommen.
Das Rollenspiel der Siebziger und Achtziger Jahre war zu einer Randerscheinung der Szene geworden. Es gab Alternativen, die weniger Aufwand erforderten, für manche Spieler sogar geeigneter waren.
Und trotzdem, man kann die Sache auch ganz anders sehen:
Damals war alles schlechter!
Die Zeiten fürs Rollenspiel haben sich geändert, aber es gibt auch heute immer noch eine ganze Reihe von Verlagen, die sich um Rollenspiele und ihre Produktion kümmern. Und die meisten von ihnen arbeiten auf einem professionell deutlichen höheren Level als viele Möchtegerns der Achtziger und Neunziger Jahre, wenn auch mit deutlich reduzierten Gewinnmargen.
Auch dies resultiert natürlich teilweise daraus, dass die Akteure der Szene im Durchschnitt älter geworden sind. Leute, die vor zwanzig Jahren in der Schule ihre ersten Schreibversuche unternommen haben, sind heute versierte Autoren geworden, die qualitativ hochwertiges Material produzieren können. Und für viele alte Säcke… äh… Recken ist es auch heute noch ein besonderes Vergnügen, sich für „ihr“ Rollenspiel zu engagieren. Geld ist dabei häufig eher zweitrangig geworden, denn reich werden kann man als Rollenspielautor eh nicht. Die meisten Autoren schreiben nebenbei, am Abend wenn sie von der Arbeit heim kommen, oder am Wochenende, häufig liebevoll vom Lebenspartner toleriert, der einem diese kleine Spinnerei gönnt. Wenn man sein Geld bekommt, freut man sich über das nette Zubrot und lädt die leidende Familie zum Abendessen ein, als Ausgleich für die vielen Abende, die die Partnerin zuvor allein verbringen musste. Viele Autoren freuen sich aber fast mehr darüber, wenn ihr Name mal wieder auf einem neuen Rollenspielband prangt.
Die Szene ist erwachsener geworden, die Zeit der naiven Träume ist vorbei. Viele der heute entstehenden Abenteuer und Quellenbände sind allerdings trotz des ausgeprägteren Hobby-Charakters ausgefeilter und vielschichtiger als früher, dem steigenden Alter der Schreiberlinge und auch der Kundschaft angepasst. Recherche wird groß geschrieben, und Klischee-Produkte werden von den Verlagen häufig schon im Vorfeld abgewiesen.
Auch der optische Anspruch ist gestiegen. Selbst Liebhaber- und Hobby-Produkte bemühen sich heute um eine professionelle Darstellung. Die Zeit der seitenlangen Bleiwüsten ist vorüber. Ein sauberes Layout ist keine Domäne großer Verlage mehr, sondern kann von jedem Hobby-Autor zuhause mit relativ geringen Mitteln bewerkstelligt werden, wenn er sich nur ein wenig bemüht.
Hier kommt der Aufstieg der Computer- Technik dem Rollenspiel endlich mal zugute. Die Zeiten von Nadeldrucker, Schere und Klebstoff sind vorüber. Der heimische Rechner kann zu einem erschwinglichen Preis zum Layout-Arbeitsplatz aufgerüstet werden, und das entstehende Produkt kann durchaus (semi-)professionellen Ansprüchen genügen.
Eine wichtige Rolle spielen dabei natürlich auch die Zeichner. Früher war man als Fanzine- Schreiber oder auch als Rollenspiel- Verleger froh, wenn man endlich einen Zeichner aufgetrieben hatte, der Körper malen konnte, die nicht wie abstrakte Gemälde wirkten. Heute kann man im Internet Bilder-Sammlungen finden, die man einfach so für seine eigenen Produkte verwenden kann, entweder für wenig Geld oder gegen einfache Nennung des betreffenden Künstlers. Es ist aber auch so viel einfacher geworden, einen Zeichner zu finden.
Viele begabte Einsteiger oder Hobbyisten suchen über eigene Websites und allgemein zugängliche Foren nach Gelegenheiten, ihre Arbeit einem möglichst großen Publikum zu präsentieren. Ihnen geht es natürlich darum, Folgeaufträge zu bekommen, die ihnen dann auch mehr Geld einbringen sollen, aber gerade am Anfang ihrer Karriere sind die meisten gerne bereit, einem Liebhaber-Projekt für einen geringen Obolus oder sogar kostenlos aus der Illustrations-Klemme zu helfen.
Überhaupt hat uns das Internet viel Arbeit und Mühe abgenommen. Wenn es früher um Recherchen ging, mussten wir uns oft nervtötend langen Sucharbeiten nach passenden Informationen widmen. Die Stadtbücherei oder die Uni-Bibliothek waren dann für lange Zeit unser liebster Aufenthaltsort, sehr zum Unwillen unserer Partner. Heute gehen wir einfach zu Google, tippen ein paar Worte ein und finden recht schnell alles, was wir brauchen.
Selbst wenn man sich gar nicht als Autor betätigen möchte, verschafft einem die Technisierung gewaltige Vorteile. Auch für den Hausgebrauch findet man im Internet jede Menge Dinge, die man als Spieler oder Spielleiter zur Vorbereitung der nächsten Spielrunde nutzen kann: Bilder von Personen oder Gebäuden, Landkarten, Hintergrundinformationen zu allen möglichen Gebieten, tausend Dinge, die man früher mühsam aus Büchern herauskopieren musste. Vor allem aber liegen die langwierigen Kommunikationswege der Vergangenheit hinter uns. Keine teuren Massensendungen mehr mit der gelben Post, keine kostspieligen Brief-Anfragen im Ausland mehr. EMails und Newsletter, Foren und Newsgroups haben diese alten Kommunikationsmittel ersetzt. Sie sind dabei nicht nur schneller und preiswerter, sondern können vor allem auch umfassender eingesetzt werden, um Kontakte aufzubauen und zu pflegen.
Wenn man heute Kontakt mit jemandem aufnehmen möchte, den man irgendwo auf einer Veranstaltung kennen gelernt hat, so schreibt man ihm einfach eine E-Mail. Und wer keine E-Mail besitzt (ja, auch das gibt es heute noch, liebe Gemeinde): selbst das Telefonieren ist heute häufig preiswerter geworden, Flatrate sei Dank!
Nutzt man all diese Möglichkeiten konsequent, kann man sich für die Schaffung einer eigenen Rollenspiel-Welt (egal, ob zur Veröffentlichung oder für den Hausgebrauch) schnell Hilfe beschaffen. Man kann Ideen mit anderen austauschen, sich absprechen, um gemeinsam längere Texte zu schreiben, Layouter und Grafiker suchen, die einem die Dinge abnehmen, die man selbst vielleicht nicht kann. All dies erfordert kein Geld, sondern nur ein wenig Einsatz. So erwächst aus den eigenen Ideen vielleicht das große Projekt, das einem schon lange vorschwebte, an das man sich jedoch allein vielleicht nie heran getraut hätte.
Wenn es dann an die Veröffentlichung geht, bietet einem diese schöne neue Zeit ebenfalls viel breiter gefächerte Möglichkeiten als früher. Eine eigene Website ist mit ein wenig schnell erworbenem Fachwissen rasch erstellt und kann als Zentrale für die eigene Autorenkarriere dienen. Download-Portale, über die man selbst erstellte .pdf-Dateien anbieten kann, sind in Deutschland noch nicht so weit verbreitet wie beispielsweise in Amerika, aber sie bieten enorme Möglichkeiten, muss man doch nichts mehr für den Druck bezahlen und kann seine Werke trotzdem der Öffentlichkeit anbieten. In Amerika bieten diese Sites sogar teilweise einen Ausdruck-Service an, so dass dem Kunden bereits ein fertiges Buch ins Haus geliefert wird. Ansonsten muss halt der heimische Drucker abends ein paar Überstunden machen.
Ich bin sicher, dieser Trend wird sich fortsetzen und auch in Deutschland etablieren, wenn denn genug Interessenten sowohl auf Verleger- als auch auf Benutzer-Seite vorhanden sind.
Aber auch für denjenigen, der sich lieber ein gedrucktes Exemplar seines eigenen Werkes ins Regal stellen möchte, gibt es Möglichkeiten. So genannte Print-on-Demand-Anbieter lagern fertige Bücher auf ihren Servern und bieten zentrale Bestellmöglichkeiten, die jeder Interessent finden kann, selbst über die Mutter aller Online-Buchhändler Amazon.de. Sobald dann ein Exemplar bestellt wird, wird es gedruckt, gebunden und an den Kunden verschickt. Dieser Service ist zwar etwas teurer als das herkömmliche Druckverfahren, erfordert aber keinen großen finanziellen Einsatz, um ein Buch im Druck zu halten.
Auf der anderen Seite gibt es auch verschiedene Anbieter, die den Druck von Kleinauflagen zu erschwinglichen Preisen anbieten, inklusive Versand an den Herausgeber.So wird auch das eigene Fanzine im sauberen Druck eine realistische Möglichkeit. Mit diesen Mitteln gibt es auch endlich wieder eine Möglichkeit, die bereits genannten Nischenprodukte oder Liebhaberspiele auf dem Markt zu halten. Die Lücken, die vom Niedergang der großen Verlage und der Beschränkung ihres Portfolios herrühren, können engagierte Klein-Verleger zwar nicht schließen, sie können aber dem interessierten Insider durchaus eine Alternative zu den einengenden Welten der großen Spiele bieten. Und all das bringt mich zu dem vielleicht auf der Hand liegenden Rückschluss:
Damals war alles anders!
Es wäre zu einfach, sich hinzustellen und zu verkünden, die Rollenspiel-Szene sei früher schlechter oder heute besser gewesen. Wie bei vielen anderen Dingen, hängen auch die Möglichkeiten in der Rollenspiel-Szene davon ab, was man erreichen will oder erwartet.
Verlage, die Geld mit der Publikation von Rollenspielen verdienen wollen bzw. müssen, stehen heute sicherlich weniger gesichert da als früher. Man muss vorsichtiger sein, denn bei reduzierten Absatzzahlen kann ein falsch auf dem Markt platziertes neues Produkt der Firma vielleicht schon das finanzielle Rückgrat brechen. Die Vielfalt früherer Tage, bei der jeder Verlag möglichst viele neue Spiele auf dem Markt haben konnte und wollte, weicht also einer Ausdünnung der vorhandenen Produktlinien, bei der es darum geht, die finanziell tragfähigsten Spiele zu behalten. Kann man den Männern und Frauen hinter den Kulissen daraus einen Vorwurf machen? Ich denke, nein, denn sie leben den Traum, den früher viele von uns hatten, und wir sollten ihnen eher die Daumen drücken, dass dieser für sie nicht zum Alptraum wird. Auf der anderen Seite ist es natürlich bedauerlich, dass dadurch viele interessante Spiele vom Markt verschwinden oder gar nicht erst auftauchen.
Doch es gibt Alternativen. Der geringere finanzielle Einsatz, der heute nötig ist, um ein eigenes Werk auf den Markt zu bringen, erlaubt es dem engagierten Liebhaber durchaus, „sein“ Spiel auf den Markt zu bringen, egal, ob es sich dabei um eine Eigenentwicklung oder eine Lizenz-Übersetzung handelt. Man sollte jedoch immer darauf achten, dass man sich nicht übernimmt.
Ein Rollenspiel zu verlegen ist heute keine Möglichkeit mehr, sich finanziell gesundzustoßen. Es wird im Normalfall immer eine Liebhaberei bleiben, und wer bereit ist, dies zu akzeptieren, der kann sich seinen Traum vom eigenen Rollenspiel heute sicherlich leichter erfüllen als jemals zuvor.
Ein guter Schreiber oder Zeichner wird immer gesucht. Und wer weiß, vielleicht erwächst daraus ja auch einmal die Möglichkeit zu einer professionellen Tätigkeit. Ein klein wenig haben wir uns doch alle diesen kleinen Rest von Naivität erhalten. Wenn vielleicht mal ein Autor für einen Rollenspiel- Roman gesucht wird, warum sollte nicht ich der Glückliche sein? Habe nicht gerade ich es verdient? Davon sind wir doch alle im tiefsten Grund unseres Herzens überzeugt.
Aber selbst wenn dir das Ausdrücken unserer Kreativität in schriftlicher oder grafischer nicht im Blut liegt, kannst du doch etwas tun, um dem Rollenspiel zu helfen. Hol die alten Rollenspiele aus dem Schrank, schreib den alten Kumpels mal wieder eine Mail, frag die Kollegen, die dich immer so komisch angucken, wenn du von deinem Hobby erzählst:
„Wie wäre es denn mal mit einem richtigen Rollenspiel-Abend?“
Ralf Sandfuchs
Wieder einmal war André Wiesler so nett mir diesen Artikel, der aus dem Envoyer 11/2008 (der letzten Ausgabe vor der Vereinigung mit der SpielXPress) stammt, zur Verfügung zu stellen. Vielen Dank an dieser Stelle an ihn.
Dieser Artikel greift gleich mehrere Diskussionen auf und unter anderem darum sei ihm ein eigenes Thema gegönnt. Er geht auf die gute alte Zeit ein, er wagt einen Ausblick in die Zukunft, er geht auf erste Cons ein und steht im direkten thematischen Bezug zu Frank Hellers Pen & Paper Rollenspiel am Ende. Darüber hinaus zeichnet er meines Erachtens ein sehr sympathisches Bild des Autors. Aber lest selbst.
(Da es sich wieder um eine PDF-Extraktion handelt, bitte ich um Nachsicht, was Absatztrennungen angeht.)
Damals… ja, damals…
Ein Artikel von Ralf Sandfuchs
Ein Artikel von Ralf Sandfuchs
Mit den letzten Ausgaben des Jahres 2008 geht eine lange „Karriere“ des Envoyer als eigenständige Publikation zu Ende. Und auch wenn das Heft als Teil des SpielxPress weiterleben wird, so kommt man doch ein bisschen ins Grübeln, vor allem, wenn man selbst schon längere Zeit „dabei“ ist…
Es gab eine Szene vor dem Envoyer, und es wird auch eine danach geben. Und ebenso sicher waren bei Weitem nicht alle Rollenspieler Freunde des Magazins. Trotzdem schleichen sich eingedenk dieses Ereignisses heimtückisch die Überlegungen an, wie lange man sich selbst schon mit unserem Hobby beschäftigt und was sich in dieser Zeit alles geändert hat. Und ausgehend von diesen Gedanken habe ich mich bald gefragt, wie sich das Rollenspiel in Deutschland entwickelt hat, seit es irgendwann in den frühen Achtzigern seinen Anfang genommen hat. Ihr wisst schon, die Sorte Geschichten und Anekdoten, die meistens mit „Ich war damals…“ anfangen und irgendwann mit „Das war halt eine andere Zeit.“ enden.
Damit ihr aber nicht nur die Gedanken eines Einzelnen mitbekommt, hat der Envoyer dankenswerterweise eine Umfrage gestartet, um eine möglichst breite Meinungsvielfalt zu diesem Thema darstellen zu können. Die Meinungen, die ich dabei gelesen habe, sind dann natürlich in diesen Artikel eingeflossen. Zunächst einmal möchte ich euch den Typen etwas näher bringen, der diese Zeilen in den PC hackt, damit ihr euch selbst ein Bild davon machen könnt, was ihr von den folgenden Aussagen zu halten habt. In diesem Sinne…
Gestatten, Ralf Sandfuchs
Mein erstes Rollenspiel hielt ich im Herbst 1984 in den Händen, auf der Abschlussfahrt meiner Freundin, die ich aus irgendwelchen abstrusen Gründen nach Frankreich begleiten durfte, obwohl ich gar nicht in ihrem Jahrgang war.
Dieses erste Regelwerk war die gute alte D&D-Basis-Box in Rot, erschienen im November 1983 beim Fantastische-Spiele-Verlag. Ich wusste anfangs nicht wirklich, was ich von diesem „Rollenspiel“ halten sollte, doch eine kurze Runde an einem Abend in der Jugendherberge später hatte mich das Hobby am Haken, von dem ich seitdem nicht mehr losgekommen bin.
Kurze Zeit später gründeten wir als Spielrunde den D&D-Club Plündert Ratingen!, aus dessen Mitte später wiederum viele führende Mitglieder der Gilde der Fantasy-Rollenspieler entstammten. Die GFR und vor allem ihr Magazin Windgeflüster (das ich damals mit aus der Taufe hob) waren schließlich auch schuld daran, dass ich mich immer mehr für die schreiberische Seite des Rollenspiels interessierte. Irgendwann wurde ich dann Hausautor für Plüsch, Power & Plunder und Ruf des Warlock, später auch immer wiederkehrender Schreiber für Cthulhu. 1997 gründete ich mit zwei Partnern einen neuen Verlag, aus dem später Krimsus Krimskrams-Kiste wurde, ein Herausgeber, der sich sowohl mit Kartenspielen als auch mit Rollenspielen der etwas anderen Art befasste.
Inzwischen habe ich für verschiedenste Verlage und Magazine geschrieben, habe mich aber aus der Vereins- und Fanzine-Szene weitestgehend zurückgezogen. Einige der alten Verbindungen sind natürlich immer noch vorhanden, und ich hoffe, dass ich bei meinen früheren Kollegen hin und wieder noch ein gerngesehener Gast bin. Vielleicht kann man so auch noch mal an der einen oder anderen Strippe ziehen, um etwas in die Richtung zu bewegen, die einem zusagt.
Es ist auf jeden Fall viel passiert, seit ich der (halbwegs) junge Fan war, der vor vierundzwanzig Jahren sein erstes Dungeon durchwanderte. Und von daher, glaubt mir, wenn ich Euch sage:
Damals war alles besser!
1981 erschien mit Midgard das erste deutsche Rollenspiel in nennenswerter Auflage, 1982 folgten Sternengarde und 1983 Dungeons & Dragons, bevor 1984 der spätere Marktführer Das schwarze Auge seine erste Ausgabe erlebte.
Es gab damals kaum einen reinen Rollenspiel- Verlag. Der Fantastische-Spiele-Verlag, der hinter Sternengarde und D&D stand, gehörte zu ASS, Das Schwarze Auge wurde von Schmidt Spiele verlegt. Das hatte natürlich den Vorteil, dass die bestehenden Vertriebskanäle genutzt werden konnten.
Rollenspielbücher standen im normalen Spielwarenhandel, und im Fernsehen (damals noch aus gerade mal drei Programmen bestehend) liefen Werbespots, die das neue Hobby dem staunenden Publikum nahe brachten. Die Spiele wurden vielleicht nicht zu dem bahnbrechenden Erfolg, den sie Jahre zuvor in Amerika gefeiert hatten, doch es entwickelte sich rasch eine florierende Szene, die sich auf Spielertreffen und mit Briefketten selbst organisierte. Das Wichtigste war jedoch etwas anderes: Fantasy war auf einmal nicht mehr etwas, was man in Romanen, Hörspielen und Filmen vorgesetzt bekam; man erlebte es selbst, und man konnte seine eigenen Welten gestalten und ausleben. Ein völlig neuer und für viele faszinierender Gedanke.
Die deutsche Fantasy-Szene stand vor einer Zeit der Veränderungen. Es gab auf einmal eine neue Art sich kreativ auszudrücken, und viele heute bekannte Autoren wie Thomas Finn und Bernhard Hennen fanden in den aufstrebenden Rollenspielen die geeignete Spielwiese für ihre kreativen Ideen. Es gab auf einmal die Möglichkeit, seinen Namen auf dem Cover eines Buches zu sehen. Und selbst die Leute, die nicht für die kommerziellen Verlage schreiben konnten oder wollten, hofften auf einmal, dass sie mit ihren Mitteln jemanden erreichen konnten. Dutzende von hoffnungsvollen Autoren hackten ihre Ideen in Computer- oder Schreibmaschinentastaturen und saßen danach Abend für Abend mit Schere und Klebstoff am Wohnzimmertisch, um die so entstandenen Artikel mit selbst gemalten oder einfach aus existierenden Quellen herauskopierten Bildern zu versehen. Die entstandenen „Druckvorlagen“ wurden im nächstgelegenen Copyshop durch den Kopierer gejagt, und fertig war das eigene Fanzine.
So entstanden Unmengen von Heften, die einen stetigen Fluss von Abenteuern und Weltbeschreibungen lieferten. Die Frage nach inhaltlicher oder optischer Qualität stellte sich häufig nicht wirklich. Es war eine Zeit der Träume, die Goldgräberstimmung am Beginn eines neuen Zeitalters, ein Gefühl, das bald die ganze Szene erfasste. Eigene Systeme entstanden. Jeder sah sich als kommender Autor des neuen D&D, des neuen DSA. Es war eine naive Welt voller Hoffnung.
Um dies zu verstehen, muss man noch einige andere Dinge in Betracht ziehen. Die Computer der damaligen Zeit hatten nicht einmal die Rechenleistung eines heutigen Handys. Ausdrucke entstanden auf Neun-Nadel-Druckern (was nichts weiter bedeutet, als dass neun Pünktchen ausreichen mussten, um einen Buchstaben darzustellen; versucht das mal zuhause). Grafiken auszudrucken war schlicht und ergreifend technisch unmöglich, der Kopierer bei der Arbeit wurde unser bester Freund.
Vor allem aber bedeutete diese Low-Tech- Umgebung, dass es kaum eine Alternative zum Rollenspiel gab. Damalige Computer-Abenteuer waren häufig rein textbasiert, ließen meistens nur wenige Möglichkeiten zum eigenen Handeln offen und konnten nicht zeigen, was sich in der fremden Welt abspielte.
Wenn man also ein wenig Phantasie einbrachte, war Rollenspiel die stärkere Alternative, die einfach mehr Möglichkeiten bot. Erste überregionale Vereine wie die GFR und der 252 e.V. brachten die Spieler zusammen und gaben ihnen Partner in ganz Deutschland, mit denen man neue Ideen austüfteln konnte. Die Fanzines waren daher neben ihrer Rolle als Ideenlieferanten vor allem auch Kommunikationsmittel. Die Spiel in Essen sowie einige Groß-Cons (STARD und PhanCon beispielsweise) wurden zu wichtigen Anlaufstellen der Szene. Man traf sich dort untereinander, versuchte gelegentlich sogar (mit wechselhaftem Erfolg), sich der unwissenden Öffentlichkeit zu präsentieren.
Rollenspieler waren eine große Familie, auch wenn es immer den einen oder anderen bösen Stiefbruder gab, den man lieber nicht dabei hatte.
Dabei stellte sich aber recht bald heraus, dass Rollenspiel ein Jungs-Ding war und größtenteils auch blieb. Weibliche Wesen blieben meistenteils in Scharen dem Hobby fern. Wenn sie jedoch auftauchten, wurden sie gerne aufgenommen. Beides resultierte sicherlich auch aus dem Loser- oder Nerd-Image, das dem Rollenspieler an sich schon damals anhaftete, auch wenn er dies nicht bemerkte oder auch bemerken wollte. Trotzdem (oder gerade deshalb?) entwickelte sich auch so manche feste Bindung oder sogar Ehe zunächst an einem Spieltisch. Auf so manchem Spielertreffen retteten die wenigen anwesenden Frauen sogar die Gesundheit der Anwesenden, denn sie schafften es essbare und verträgliche Speisen zuzubereiten, denen nicht das unbeschreibliche Aroma angebrannter Zutaten anhaftete. Wir danken unseren Damen von damals noch heute!
Selbst das Aufkommen immer besserer Computer und damit verbunden besserer Grafiken schien anfangs dem Rollenspiel und seiner schönen Traumwelt jenseits der Realität keine Konkurrenz machen zu können.
Obwohl die Menschen plötzlich keine eigene Fantasie mehr brauchten, um fremde Welten zu besuchen, lebte das gute alte Rollenspiel einfach parallel dazu weiter. Wir glaubten immer, wir stünden ganz kurz vor dem endgültigen Durchbruch: es gab so viele Menschen, die Fantasy, Science Fiction oder Horror mochten; irgendwann würden sie schon erkennen, wie sie diese Vorliebe spielerisch am besten ausleben konnten, dessen waren wir uns alle sicher!
Doch dann kam ein kleines Kartenspiel daher und zertrümmerte die schöne Seifenblase: Magic – The Gathering. Fast im Handstreich nahm es die Szene für sich ein. Gestandene Rollenspieler sammelten auf einmal kleine bunte Kärtchen und droschen mit diesen aufeinander ein. Die Regelbücher verstaubten im Schrank.
Ein Grund dafür war neben der deutlich geringeren Komplexität von Magic sicherlich auch die Altersstruktur der Szene. Es gab viele alte gestandene Recken, doch wenig Zufluss an frischem Blut.
Die alten Herren jedoch wurden gesetzter. Beruf, Ehe und Familie erforderten viel Zeit, und so mancher legte das Schwert nieder, weil er das Gefühl hatte, dass er keine Zeit mehr für eine ausgedehnte Kampagne hatte. Eine Runde Magic ließ sich da schon eher unterbringen.
Zeitgleich feierte auch Games Workshop seinen Durchmarsch an die Spitze der Tabletop- Zunft, und auch dieses Hobby grub dem Rollenspiel das Wasser ab. Man brauchte keine ganze Runde zusammen zu kriegen, um abends Figuren zu bemalen, und für eine Schlacht brauchte man nur einen Gegner, keine ganze Truppe von Gefährten.
Die Rollenspiel-Szene schlingerte durch die nächsten Jahre hindurch, und viele Versuche, auf den rasenden Sammelkarten-Zug aufzuspringen, endeten in heftigen Bruchlandungen. Nur wenige Spiele (wie die erste World of Darkness) konnten auch in dieser Zeit Erfolge feiern, doch viele andere blieben entweder gänzlich auf der Strecke oder wurden zu Hobby-Produkten, für die nur alle Jubeljahre mal etwas erschien.
Schlimm für die Rollenspiel-Szene war auch das stetige Aufkommen immer besserer Computer und Spielkonsolen und auch immer aufwändigerer Software. Inzwischen konnten die Bilder auf den Monitoren fast mit allem mithalten, was die Fantasie der Benutzer an Vorstellungen produzierte, und auch hier galt wieder der Grundsatz, dass man alleine auf Abenteuer ziehen konnte, ohne sich zu verabreden, von der Gemütlichkeit des eigenen Schreibtischs aus. Und die gezeigten Bilder übertrafen sicherlich noch die Ergebnisse mancher Vorstellungskraft. Es ist eben bequemer, einfach das zu erleben, was andere sich ausgedacht haben, ohne sich selbst anstrengen zu müssen.
Spätestens mit dem Auftauchen von Online- Rollenspielen wie World of Warcraft wurden dann endgültig die ersten Nägel in den Sargdeckel über dem althergebrachten Rollenspiel getrieben. Der Absatz an Regelwerken und Quellenbüchern brach dramatisch ein, und es vollzog sich ein ebenso dramatischer Wechsel in der Wahrnehmung dessen, was ein Rollenspiel eigentlich ist.
Wer heute den Begriff „Rollenspiel“ benutzt, meint in den meisten Fällen WoW und seine Ableger. Unser altes Hobby bekam den neudeutschen Zusatz „Pen & Paper“, um es unterscheidbar zu machen. Geld wurde häufig nicht mehr mit der Produktion von Regelbüchern und Zusatzbänden gemacht, sondern mit den dazugehörigen Software- Lizenzen oder auch Romanen und Hörbüchern.
Viele, auch große Verlage mussten mit rapiden Umsatzrückgängen klarkommen und konzentrierten sich auf das Kerngeschäft, also die erfolgreichen absatzstarken Spiele. Nischen-Produkte und Liebhaber-Spiele wurden aus den Katalogen gestrichen oder gar nicht erst in die Liste der Verlagsprodukte aufgenommen.
Das Rollenspiel der Siebziger und Achtziger Jahre war zu einer Randerscheinung der Szene geworden. Es gab Alternativen, die weniger Aufwand erforderten, für manche Spieler sogar geeigneter waren.
Und trotzdem, man kann die Sache auch ganz anders sehen:
Damals war alles schlechter!
Die Zeiten fürs Rollenspiel haben sich geändert, aber es gibt auch heute immer noch eine ganze Reihe von Verlagen, die sich um Rollenspiele und ihre Produktion kümmern. Und die meisten von ihnen arbeiten auf einem professionell deutlichen höheren Level als viele Möchtegerns der Achtziger und Neunziger Jahre, wenn auch mit deutlich reduzierten Gewinnmargen.
Auch dies resultiert natürlich teilweise daraus, dass die Akteure der Szene im Durchschnitt älter geworden sind. Leute, die vor zwanzig Jahren in der Schule ihre ersten Schreibversuche unternommen haben, sind heute versierte Autoren geworden, die qualitativ hochwertiges Material produzieren können. Und für viele alte Säcke… äh… Recken ist es auch heute noch ein besonderes Vergnügen, sich für „ihr“ Rollenspiel zu engagieren. Geld ist dabei häufig eher zweitrangig geworden, denn reich werden kann man als Rollenspielautor eh nicht. Die meisten Autoren schreiben nebenbei, am Abend wenn sie von der Arbeit heim kommen, oder am Wochenende, häufig liebevoll vom Lebenspartner toleriert, der einem diese kleine Spinnerei gönnt. Wenn man sein Geld bekommt, freut man sich über das nette Zubrot und lädt die leidende Familie zum Abendessen ein, als Ausgleich für die vielen Abende, die die Partnerin zuvor allein verbringen musste. Viele Autoren freuen sich aber fast mehr darüber, wenn ihr Name mal wieder auf einem neuen Rollenspielband prangt.
Die Szene ist erwachsener geworden, die Zeit der naiven Träume ist vorbei. Viele der heute entstehenden Abenteuer und Quellenbände sind allerdings trotz des ausgeprägteren Hobby-Charakters ausgefeilter und vielschichtiger als früher, dem steigenden Alter der Schreiberlinge und auch der Kundschaft angepasst. Recherche wird groß geschrieben, und Klischee-Produkte werden von den Verlagen häufig schon im Vorfeld abgewiesen.
Auch der optische Anspruch ist gestiegen. Selbst Liebhaber- und Hobby-Produkte bemühen sich heute um eine professionelle Darstellung. Die Zeit der seitenlangen Bleiwüsten ist vorüber. Ein sauberes Layout ist keine Domäne großer Verlage mehr, sondern kann von jedem Hobby-Autor zuhause mit relativ geringen Mitteln bewerkstelligt werden, wenn er sich nur ein wenig bemüht.
Hier kommt der Aufstieg der Computer- Technik dem Rollenspiel endlich mal zugute. Die Zeiten von Nadeldrucker, Schere und Klebstoff sind vorüber. Der heimische Rechner kann zu einem erschwinglichen Preis zum Layout-Arbeitsplatz aufgerüstet werden, und das entstehende Produkt kann durchaus (semi-)professionellen Ansprüchen genügen.
Eine wichtige Rolle spielen dabei natürlich auch die Zeichner. Früher war man als Fanzine- Schreiber oder auch als Rollenspiel- Verleger froh, wenn man endlich einen Zeichner aufgetrieben hatte, der Körper malen konnte, die nicht wie abstrakte Gemälde wirkten. Heute kann man im Internet Bilder-Sammlungen finden, die man einfach so für seine eigenen Produkte verwenden kann, entweder für wenig Geld oder gegen einfache Nennung des betreffenden Künstlers. Es ist aber auch so viel einfacher geworden, einen Zeichner zu finden.
Viele begabte Einsteiger oder Hobbyisten suchen über eigene Websites und allgemein zugängliche Foren nach Gelegenheiten, ihre Arbeit einem möglichst großen Publikum zu präsentieren. Ihnen geht es natürlich darum, Folgeaufträge zu bekommen, die ihnen dann auch mehr Geld einbringen sollen, aber gerade am Anfang ihrer Karriere sind die meisten gerne bereit, einem Liebhaber-Projekt für einen geringen Obolus oder sogar kostenlos aus der Illustrations-Klemme zu helfen.
Überhaupt hat uns das Internet viel Arbeit und Mühe abgenommen. Wenn es früher um Recherchen ging, mussten wir uns oft nervtötend langen Sucharbeiten nach passenden Informationen widmen. Die Stadtbücherei oder die Uni-Bibliothek waren dann für lange Zeit unser liebster Aufenthaltsort, sehr zum Unwillen unserer Partner. Heute gehen wir einfach zu Google, tippen ein paar Worte ein und finden recht schnell alles, was wir brauchen.
Selbst wenn man sich gar nicht als Autor betätigen möchte, verschafft einem die Technisierung gewaltige Vorteile. Auch für den Hausgebrauch findet man im Internet jede Menge Dinge, die man als Spieler oder Spielleiter zur Vorbereitung der nächsten Spielrunde nutzen kann: Bilder von Personen oder Gebäuden, Landkarten, Hintergrundinformationen zu allen möglichen Gebieten, tausend Dinge, die man früher mühsam aus Büchern herauskopieren musste. Vor allem aber liegen die langwierigen Kommunikationswege der Vergangenheit hinter uns. Keine teuren Massensendungen mehr mit der gelben Post, keine kostspieligen Brief-Anfragen im Ausland mehr. EMails und Newsletter, Foren und Newsgroups haben diese alten Kommunikationsmittel ersetzt. Sie sind dabei nicht nur schneller und preiswerter, sondern können vor allem auch umfassender eingesetzt werden, um Kontakte aufzubauen und zu pflegen.
Wenn man heute Kontakt mit jemandem aufnehmen möchte, den man irgendwo auf einer Veranstaltung kennen gelernt hat, so schreibt man ihm einfach eine E-Mail. Und wer keine E-Mail besitzt (ja, auch das gibt es heute noch, liebe Gemeinde): selbst das Telefonieren ist heute häufig preiswerter geworden, Flatrate sei Dank!
Nutzt man all diese Möglichkeiten konsequent, kann man sich für die Schaffung einer eigenen Rollenspiel-Welt (egal, ob zur Veröffentlichung oder für den Hausgebrauch) schnell Hilfe beschaffen. Man kann Ideen mit anderen austauschen, sich absprechen, um gemeinsam längere Texte zu schreiben, Layouter und Grafiker suchen, die einem die Dinge abnehmen, die man selbst vielleicht nicht kann. All dies erfordert kein Geld, sondern nur ein wenig Einsatz. So erwächst aus den eigenen Ideen vielleicht das große Projekt, das einem schon lange vorschwebte, an das man sich jedoch allein vielleicht nie heran getraut hätte.
Wenn es dann an die Veröffentlichung geht, bietet einem diese schöne neue Zeit ebenfalls viel breiter gefächerte Möglichkeiten als früher. Eine eigene Website ist mit ein wenig schnell erworbenem Fachwissen rasch erstellt und kann als Zentrale für die eigene Autorenkarriere dienen. Download-Portale, über die man selbst erstellte .pdf-Dateien anbieten kann, sind in Deutschland noch nicht so weit verbreitet wie beispielsweise in Amerika, aber sie bieten enorme Möglichkeiten, muss man doch nichts mehr für den Druck bezahlen und kann seine Werke trotzdem der Öffentlichkeit anbieten. In Amerika bieten diese Sites sogar teilweise einen Ausdruck-Service an, so dass dem Kunden bereits ein fertiges Buch ins Haus geliefert wird. Ansonsten muss halt der heimische Drucker abends ein paar Überstunden machen.
Ich bin sicher, dieser Trend wird sich fortsetzen und auch in Deutschland etablieren, wenn denn genug Interessenten sowohl auf Verleger- als auch auf Benutzer-Seite vorhanden sind.
Aber auch für denjenigen, der sich lieber ein gedrucktes Exemplar seines eigenen Werkes ins Regal stellen möchte, gibt es Möglichkeiten. So genannte Print-on-Demand-Anbieter lagern fertige Bücher auf ihren Servern und bieten zentrale Bestellmöglichkeiten, die jeder Interessent finden kann, selbst über die Mutter aller Online-Buchhändler Amazon.de. Sobald dann ein Exemplar bestellt wird, wird es gedruckt, gebunden und an den Kunden verschickt. Dieser Service ist zwar etwas teurer als das herkömmliche Druckverfahren, erfordert aber keinen großen finanziellen Einsatz, um ein Buch im Druck zu halten.
Auf der anderen Seite gibt es auch verschiedene Anbieter, die den Druck von Kleinauflagen zu erschwinglichen Preisen anbieten, inklusive Versand an den Herausgeber.So wird auch das eigene Fanzine im sauberen Druck eine realistische Möglichkeit. Mit diesen Mitteln gibt es auch endlich wieder eine Möglichkeit, die bereits genannten Nischenprodukte oder Liebhaberspiele auf dem Markt zu halten. Die Lücken, die vom Niedergang der großen Verlage und der Beschränkung ihres Portfolios herrühren, können engagierte Klein-Verleger zwar nicht schließen, sie können aber dem interessierten Insider durchaus eine Alternative zu den einengenden Welten der großen Spiele bieten. Und all das bringt mich zu dem vielleicht auf der Hand liegenden Rückschluss:
Damals war alles anders!
Es wäre zu einfach, sich hinzustellen und zu verkünden, die Rollenspiel-Szene sei früher schlechter oder heute besser gewesen. Wie bei vielen anderen Dingen, hängen auch die Möglichkeiten in der Rollenspiel-Szene davon ab, was man erreichen will oder erwartet.
Verlage, die Geld mit der Publikation von Rollenspielen verdienen wollen bzw. müssen, stehen heute sicherlich weniger gesichert da als früher. Man muss vorsichtiger sein, denn bei reduzierten Absatzzahlen kann ein falsch auf dem Markt platziertes neues Produkt der Firma vielleicht schon das finanzielle Rückgrat brechen. Die Vielfalt früherer Tage, bei der jeder Verlag möglichst viele neue Spiele auf dem Markt haben konnte und wollte, weicht also einer Ausdünnung der vorhandenen Produktlinien, bei der es darum geht, die finanziell tragfähigsten Spiele zu behalten. Kann man den Männern und Frauen hinter den Kulissen daraus einen Vorwurf machen? Ich denke, nein, denn sie leben den Traum, den früher viele von uns hatten, und wir sollten ihnen eher die Daumen drücken, dass dieser für sie nicht zum Alptraum wird. Auf der anderen Seite ist es natürlich bedauerlich, dass dadurch viele interessante Spiele vom Markt verschwinden oder gar nicht erst auftauchen.
Doch es gibt Alternativen. Der geringere finanzielle Einsatz, der heute nötig ist, um ein eigenes Werk auf den Markt zu bringen, erlaubt es dem engagierten Liebhaber durchaus, „sein“ Spiel auf den Markt zu bringen, egal, ob es sich dabei um eine Eigenentwicklung oder eine Lizenz-Übersetzung handelt. Man sollte jedoch immer darauf achten, dass man sich nicht übernimmt.
Ein Rollenspiel zu verlegen ist heute keine Möglichkeit mehr, sich finanziell gesundzustoßen. Es wird im Normalfall immer eine Liebhaberei bleiben, und wer bereit ist, dies zu akzeptieren, der kann sich seinen Traum vom eigenen Rollenspiel heute sicherlich leichter erfüllen als jemals zuvor.
Ein guter Schreiber oder Zeichner wird immer gesucht. Und wer weiß, vielleicht erwächst daraus ja auch einmal die Möglichkeit zu einer professionellen Tätigkeit. Ein klein wenig haben wir uns doch alle diesen kleinen Rest von Naivität erhalten. Wenn vielleicht mal ein Autor für einen Rollenspiel- Roman gesucht wird, warum sollte nicht ich der Glückliche sein? Habe nicht gerade ich es verdient? Davon sind wir doch alle im tiefsten Grund unseres Herzens überzeugt.
Aber selbst wenn dir das Ausdrücken unserer Kreativität in schriftlicher oder grafischer nicht im Blut liegt, kannst du doch etwas tun, um dem Rollenspiel zu helfen. Hol die alten Rollenspiele aus dem Schrank, schreib den alten Kumpels mal wieder eine Mail, frag die Kollegen, die dich immer so komisch angucken, wenn du von deinem Hobby erzählst:
„Wie wäre es denn mal mit einem richtigen Rollenspiel-Abend?“
Ralf Sandfuchs