AW: Regionalbänder, Zeitlinien & Co.
Skar schrieb:
Kann man da von anderen Rollenspielen sprechen oder reicht euch da das Stammsystem als Bezeichnung aus?
Also bei Generika, d.h. generischen Regelsystemen ohne eingebundene Spielwelt, reicht es mir nicht aus einfach zu sagen "Ich spiele Fudge" oder "Ich spiele Savage Worlds". Hier haben wir den Fall, daß zu einem Rollenspiel eben ein Regelsystem, ein Setting und Spielende gehören (diese Diskussion hatten wir ja auch schon mehrfach).
Ist das Regelsystem gleich, sind aber die Spielwelten/Settings jeweils anders, so handelt es sich für mich um unterschiedliche Rollenspiele.
Beispiel:
Savage Worlds ist das generische Rollenspiel. -
Rippers ist ein viktorianisches Horror-Action-Setting mit settingspezifischen Zusatzregeln, die es zusammen mit der Hintergrundinformation zu einem anderen Rollenspiel machen, als z.B.
50 Fathoms, welches ein Fantasy-Piraten-Setting in einer ertrinkenden Welt ist. Erst mit einem konkreten Setting, selbst wenn man keinerlei settingspezifische Regeln, Zauber, Ausrüstung etc. hinzufügt, wird ein generisches Regelsystem wie Savage Worlds erst zu einem eigentlichen Rollenspiel. - Alle Savage Worlds Settingbände sind voneinander so unterschiedlich (in Genre und in Settingspezifika), daß man von verschiedenen Rollenspielen mit demselben Regelwerk sprechen kann.
Ist das Regelwerk gleich UND der Spielwelt-Hintergrund ebenfalls gleich, jedoch nur zu verschiedenen Zeitlinien dargeboten, dann ist es immer noch dasselbe Rollenspiel. Insbesondere, wenn es Charakteren möglich ist (wie unwahrscheinlich im Einzelfalle auch immer) zwischen diesen Zeitlinien zu wechseln.
Beispiel: Deadlands.
Deadlands: The Weird West spielt in den 1870ern.
Deadlands: Hell on Earth spielt in den 2090ern.
Deadlands: Lost Colony spielt auf einer von der Erde des Hell on Earth Hintergrunds abgeschnittenen Kolonie in einem anderen Sonnensystem. - Es sind innerhalb dieser drei Hintergründe vor derselben fiktiven Historie auch Übergänge zwischen diesen Zeitlinien bzw. zwischen den Welten möglich. Das Regelsystem ist - bis auf kleine Unterschiede (z.B. bei Fahrzeugen, modernen Feuerwaffen, etc.) - identisch. Wenn man sagt "Ich spiele Deadlands", dann sollte man schon nachfragen, ob WW, HoE oder LC, da es nicht jedermanns Sache sein dürfte ein Endzeit-Rollenspiel vorgesetzt zu bekommen, wenn er sich einen Western erwartet. Es ist zwar für mich dasselbe Rollenspiel, aber man spielt in unterschiedlichen zeitlichen und/oder räumlichen Bereichen.
Dabei sind hier die Unterschiede fließend zu Rollenspielen, die einfach in unterschiedlichen Kulturkreisen derselben zeitlichen Einordnung in der Spielwelt das Spielen ermöglichen. So kann man in Castle Falkenstein ja auch in Nordamerika, im Ottomanischen Imperium, oder eben in Neuropa spielen. Diese "Ecken" der Spielwelt sind vor derselben fiktiven Historie, in derselben Spielwelt, aber eben in unterschiedlichen kulturellen und geographischen Räumen angeordnet. - Dabei kann man immer noch sagen "Ich spiele Castle Falkenstein". Hierbei sollte man zwar (wie ja auch bei Deadlands) erwähnen, ob man in Nordamerika oder Neuropa oder woanders spielen will, doch ist zumindest der zeitliche, der technologische Kontext derselbe.
Aber auch bei Rollenspielen, die nur eine Spielwelt, nur einen (vorgeschlagenen) Zeitpunkt des aktiven Spieles, nur ein Regelsystem darbieten, ist die Frage, wo, in welcher Kultur man denn spielen will, durchaus interessant. Z.B. kann man auf Glorantha ja in der bekannten und am stärksten durch Publikationen unterstützten Region Dragon Pass spielen, oder aber in Kralorela, in Pamaltela, in anderen Regionen, die nichts, aber auch rein garnichts mit den bekannteren Kulturen rund um den Dragon Pass zu tun haben, spielen. Das ist immer noch dasselbe Rollenspiel, aber eben nur eine andere Facette derselben Spielwelt.
Wie soll man eigentlich Rollenspiele einordnen, bei denen derselbe Hintergrund mit mehr als einem, grundverschiedenen Regelsystem "bespielt" werden kann?
Z.B. Deadlands: Deadlands Classic 1st Ed., Deadlands Classic 2nd Ed., Deadlands D20, GURPS Deadlands, Deadlands:Reloaded (für Savage Worlds).
Oder noch krasser vom Unterschied her: Engel nach Arkana-System oder Engel D20.
Sind das dann andere Rollenspiele?
Bei Engel ist das Spielgefühl schon ziemlich anders, ob man eine mit Zufallskomponente versehene Erzählkonvention wie das Arkana-System verwendet, oder ob man ein "belastbareres" Regelsystem wie D20 einsetzt. Das System kanalisiert die vom System geförderte und geforderte(!) Spielweise in andere Richtungen.
Bei Deadlands ist das Spielgefühl von Deadlands "Classic" gegenüber Deadlands:Reloaded schon in sensiblen Bereichen deutlich unterschiedlich. Hier merkt man das "Zurechtbiegen" eines ursprünglich auf die Besonderheiten des Spielwelthintergrundes angepaßten Regelwerks auf die "Konfektionsgrößen", die ein generischeres Regelsystem an Freiheitsgraden erlaubt.
Ich empfinde Deadlands Classic und Deadlands:Reloaded als andere Rollenspiele vor demselben Hintergrund. Ich kann bestimmte Geschichten in dem einen besser (nach meinen eigenen "gefühlten" Qualitätskriterien) umsetzen, als in dem anderen. Ich bin derzeit jedoch froh beide zur Verfügung zu haben, eben WEIL ich insbesondere Massenkeilereien, die ich einfach zu gerne mag, nicht in vertretbarem Zeitaufwand in Deadlands Classic umsetzen kann.
Bei Engel ist das ähnlich. Ich WILL in der Regel die "schwebende" Spielweise des Arkana-"Systems". Aber ich will auch für manche Geschichten (insbesondere für rein menschliche Charaktere) eine Spielweise mit mehr Details und mehr Detailregelungen (mehr Crunch), weil ich das passender finde für diesen Blickwinkel auf die Welt der Engel. - Sind dann also Engel D20 und Engel Arkana-System zwei verschiedene Rollenspiele vor demselben Hintergrund? Jein. Tendenz zum Ja, aber...
Zurück zur ursprünglichen Fragestellung:
Skar schrieb:
Kann man da von anderen Rollenspielen sprechen oder reicht euch da das Stammsystem als Bezeichnung aus?
Ja, man kann. Man muß aber nicht. Das "Stammsystem" reicht in manchen Fällen aus, in anderen nicht. - Je nachdem, was ich eigentlich wissen will.
Fazit: Kommt darauf an.