[Mai 2008] Unterlagen sichten

Kalliope

Kainit
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Wieder in der Wohnung angekommen wuchtete Raven den Ordner auf ihr Schreibpult und ließ sich auf den Stuhl davor nieder sinken, die schwarze Ledertasche zu ihren Füßen abstellend.
Ihr Blick auf die noch immer geschlossenen Dokumente geheftet saß sie da, nachdenklich die weiße Stirn in Falten geschlagen während sie ihre Hände mit auf die Tischplatte gestützten Ellenbogen vor der Mundpartie verschränkte. Darin sollte sie nun also im Idealfall alle Antworten finden, derer es für die von ihr angedachte Anstaltsgründung bedürfte.
Aber irgendetwas...


"Stimmt etwas nicht, Frau Doktor?" Eleanore stand an der Seite ihrer Herrin und musterte selbige eingehend, den Blick voll milder Bekümmerung.
"Ich...ich weiß es nicht, Lenore. Ich weiß es nicht",erwiderte ihr die Vampirin bloß sinnend. Die Guhlin legte den Kopf ein wenig schief, entschloss sich aber nicht umgehend weiter nachzuhaken. Statt dessen nahm sie einen zweiten Stuhl und zog diesen an den Schreibtisch heran.

"Darf ich?", fragte die optisch ältere der beiden Frauen mit deutender Geste gen der Sitzgelegenheit.

"Natürlich", erwiderte Ligeia lediglich, nach wie vor den Ordner fixierend. So nahm Eleanore also Platz an der Seite ihres einstigen Schützlings und sah die Psychiaterin auf eine Weise an, wie sie es seit sehr langer Zeit immer Tat, wenn ihr Züge an der Malkavianerin auffielen, welche auf ein unausgesprochenes Problem, wenigstens aber Bedenken -gleich welcher Art- deuten mussten. Verständnis und Anteilnahme, aber auch eine gewisse Weisheit, welche der Guhlin in den Augen ihrer Herrin etwas Erhabenes verlieh, sprach stumm aus ihren Seelenspiegeln während Schweigen den Raum erfüllte. Tatsächlich war Eleanore wohl fraglos in der Lage Raven auch gänzlich ohne Worte zu verstehen. Vielleicht lag es an dem besonderen Wesen des Malkavianischen Blutes, vielleicht an der langen, gemeinsamen Vorgeschichte und dem damit verbundenen, gemeinsamen Bangen, Leiden, aber auch Freuen. Vielleicht war es aber auch bloß eine schlichte Illusion, welcher sich beide Damen bloß all zu gerne hingaben.

"Ich dachte, es handele sich hierbei um genau das, was sie sich erhofft hatten", erhob die Krankenschwester schließlich die samtig weiche, warme Stimme.
"Mag sein... Doch sag mir, gibt es eine Tragödie, die schwerer wiegt als jene, zu erlangen wonach es einen sehnt?"
"Aber natürlich, wenn auch bloß eine einzige: Es nicht zu bekommen." Ein beinahe schalkhaftes Augenzwinkern begleitete die Worte der Blutsklavin.
"Wie wahr..."Raven jedoch, versunken in ihre eigenen Gedanken, schien die Geste Lenores kaum zu registrieren, zumindest nicht weiter zu rezipieren, während sie nach wie vor kritisch sinnend starrte.

Erneut minutenlanges Schweigen.
Schließlich jedoch löste Ligeia die ineinander verschränkten Hände und griff nach dem Ordner vor sich.

"So lass uns also nachsehen womit wir es hier zutun haben…"

Die Guhlin nickte seicht als Raven die Dokumente aufschlug.

"Versuchen sie es von der positiven Seite des Ganzen zu betrachten: Immerhin müssen sie sich in dieser Sache nicht wie früher neben den sterblichen Behörden auch noch mit den Ansichten und Anliegen ihres Erzeugers herumschlagen. Es dürfte dahingehend wohl ein unleugbarer Vorteil sein, dass sie sich den Einflusssphären ihres Vaters soweit entzogen haben."
War Eleanore auch bemüht ihre Aussage so wertungsfrei wie möglich klingen zu lassen, so blieb ein gewisser, durchaus bekannter Unterton zurück, welcher ihrer Herrin nicht entgehen konnte.

"Mag sein…. dafür können wir uns allerdings auch nicht mehr auf seine Ressourcen und Kontakte stützen - was alles in allem den Gewinn durchaus mit Verlust aufzuwiegen vermag. Wie dem auch sei… belassen wir es hierbei und widmen wir uns den Papieren…"

Ligeia, deren Gesichtszüge trotz aller Schärfe ihrer Worte unbewegt wie eh und je erschienen, griff nach einer Schublade des Tisches und öffnete selbige um dieser Schreibzeug zu entnehmen. Ein par Platt Papier sowie einen Stift für sie und auch Eleanore wurde bereitgelegt um sich im Bedarfsfall Notizen zu den Unterlagen machen zu können.

"Natürlich…."Lenore verzichtete wohlwissend darauf den letzten Einwurf ihrer Herrin zu kommentieren. Bei aller Liebe, in welcher sie der Psychiaterin verbunden war, assoziierte sie mit deren Erschaffer doch nichts anderes als eine herzliche Abneigung - und wie sie wusste, tat sie dies bloß all zu rechtens.

Schließlich begannen die beiden Frauen die Dokumente durchzusehen, auf der Suche nach Stolpersteinen, Eigentümlichkeiten der Bürokratie, signifikanten Einschränkungen, gefälligen Konzeptentwürfen und der als wenig realistisch einzustufenden Bestätigung aller Hoffnungen und Wünsche gleicher Maßen. Sah das, was sie hier vor sich hatten, auch bei näherer Betrachtung noch so regelrecht traumhaft aus wie es auf dem Amt den Anschein hatte?
 
Auf den zweiten Blick erschien es noch besser als auf den ersten, es gab 3 Grundstücke und passende Vorschläge für die Architektur, dann noch 2 fertige Gebäude, die nur noch umgebaut werden müssten, insgesamt platz für gut 150 Patienten, wenn man ein wenig umplante auch mehr.

Wenn sie es so nahm, würden zumindest die Kosten für den Bau oder Umbau abgedeckt sein, was das Personal und das erste Jahr anging, auch ein Übergangsetat. Auch die Planung für einen Park war da und ein Gebäude für Pflegepersonal und eine Wohnung für sie selber, wenn es mal später werden würde.

Wenn ihr die Wünsche der Stadt und der Gönner unter den Vampiren egal war, dann könnte sie diesen Teil auch auslagern.
 
"Du liebe Güte!", rief Lenore schließlich nicht wenig staunend aus. "Ich bin ganz und gar überwältig. All dies liest sich geradezu paradiesisch genug für unsere Belangen um utopisch zu sein!" Die Guhlin blinzelte als sie von den Papieren auf und zu ihrer Herrin hin sah. "Ich möchte gewiss nicht taktlos erscheinen aber…wen haben sie für diese Konditionen bestochen? Oder…wenn nicht sie….wer dann? Nicht dass ich mich beschweren würde, ganz im Gegenteil…"

"Die erste Frage muss ich in bestem Gewissen als an der Sachlage vorbeigehend deklarieren und kann sie damit getrost unbeantwortet lassen. Die zweite hingegen… nun, um ehrlich zu sein siehst du mich ein wenig ratlos in dieser Sache, wenn auch sicherlich nicht unambitioniert."

Tatsächlich waren Ligeias Worte gar eine milde Untertreibung der Umstände. Sie war ganz und gar begeistert, von den Details mitunter gar mehr als vom Gesamtbild, ganz so wie es sich gehören musste. Eine Ersatzunterkunft in unmittelbarer Nähe des Komplexes konnte bloß imponieren, wenngleich die Psychiaterin ein inoffizielles Zimmerchen beispielsweise mitten im forensischen Trakt der Anstalt jeder anderen Unterbringung vorziehen würde. Aus solchen Sicherheitsverwahrungen kam kaum jemand heraus, geschweigedenn Unbefugte hinein. Diesen Teil auszulagern hingegen kam der Mondtochter gar nicht erst in den Sinn.

Es wäre perfekt wenn man nicht gefunden werden wollte. Und durchgeknallte Kriminelle in jeder angrenzenden Zelle waren in den Augen der Malkavianerin quasi synonym mit 'unbezahltem Elitewachschutz', nur für den Fall dass man doch unlieber Weise aufgefunden werden sollte…Stromausfälle traten mitunter ganz unverhofft ein und wenn sich einer dieser entarteten Humanoiden an ihr statt an Eindringlingen vergreifen sollte, würde ihm sowieso niemand glauben, dass die behandelnde Ärztin von Stichwunden in die Halsschlagader unglaublich unbeeindruckt gewesen sei.

Vor Ravens innerem Auge lief die Szene in gefühlter Echtzeit und farbenprächtigsten Bildern ab. Da stand er, ein geisteskranker Serienmörder und sein entsetzter Blick haftete auf niemand anderem als ihr selbst während er vor der Vampirin in ungläubigem Grauen langsam zurück wich. Sie stand da, im flackernden Notlicht, welches absurd scharfe Schatten auf die Gesichter der beiden anwesenden Personen warf. Ein Stück Metall ragte aus der Bauchdecke der Untoten. Kaum Blut drang aus der Wunde, die von scharfem Stahl zerrissene, weiße Bluse blieb abgesehen von einem Loch unbefleckt. Alles, was die Malkavianerin in diesen denkwürdigen Sekunden tun musste, war nichts als die Frage eines einzigen Augenblicks…



Bilder, die letztlich nicht das Geringste mit der aktuellen Angelegenheit zutun hatten, der bleichen Brünetten allerdings ein geradezu diabolisches Kräuseln der rot angemalten Lippen entlockten.

Doch wie schnell war jene Regung letztlich wieder verflogen! Gleichmut legte sich abermals auf die kühlen Züge der Untoten während das omnipräsente Flüstern in ihrem Kopf in eigene Gedankengänge mündete - und umgekehrt.

Alles schien so einfach, schlicht perfekt. Ausgezeichnet!
Doch wozu das Ganze? Eine Aufmerksamkeit, ein Lohn des Blutes? Oder schlicht das Werkzeug in Mondscheins Namen? Vorsehung? War es ihr vergönnt, weil ihr eigenes Ansinnen doch jenes des Einen war? War es einer in ihrer diskreten Allherrlichkeit unbemerkten Illumination geschuldet, dass sie in den gegebenen Fakten nichts als Erleichterung finden mochte? Oder wurde sie betrogen?
War es das Spiel der Blütenkinder? Der Prinz vielleicht? Der anderen? Beider?
Schloss dies überhaupt die Billigung, die Veranlassung des Fürsten kategorisch aus? Mitnichten! Au contraire!

Oder war…er…ES…hier…? Führte man sie bereits längst an seiner Hand? War sie nicht sensibel genug die Taktungen zu erkennen? Flog der Rabe blind tastend doch mit dem Schwarm? Oder war es schlicht der Instinkt, welcher ihn unbeirrt gen Bestimmungsort ziehen musste solange er sich selbigem demütig devot ergab?

Ein Kichern. Woher? Von wem?

Während sich die silbrigen Fäden ganz allmählich wirr verwoben begann Ligeia schon -der Tat gänzlich ungewahr und kaum zu übersehen mental abwesend- zu skizzieren was ihr von Relevanz scheinen musste.

Ein Grundstück in Burgh… im Clansgebiet oder in jenem Unverteiltem, je nach Grundstückszuschnitt beidem.

Ein Bauvorschlag… je unmittelbarer am eigentlichen Trakt gelegen die Notunterkunft für sie sein würde, umso besser. Am liebsten so, dass zumindest einfachste Sicherhheitsvorkehrungen -wie das verpflichtende Passieren des Empfangsbereiches und der Rezeption um zu ihr zu gelangen- greifen würden. Vermutlich dürfte es allerdings schwierig werden die Behörden davon zu überzeugen, dass die Wohnung zumindest an die Sicherheitsverwarung angrenzen müsste… Kein Grund um nicht vielleicht eine Besenkammer doch noch zur Sargkammer umzufunktionieren….irgendwann…in ferner Zukunft….ganz unter der Hand…

Die Anstalt in London war ein umgebauter, beziehungsweise durch möglichst stilgerechte Anbauten ergänzter Altbau gewesen. Klassisch sollte also auch diese neue Einrichtung werden, sofern möglich. Ob Um- oder Neubau war beinahe nebensächlich solange der Standort gefiel. Wäre beides innerhalb des favorisierten Sektors möglich, so wäre der Umbau in jedem Fall vorzuziehen.

Der Park war eine großartige, aus therapeutischer Sicht absolut zu begrüßende, eigentlich gar obligatorische Ergänzung des Konstrukts. Perfekt.


Personal… in jedem Fall würde Eleanore Willson nicht darum herum kommen sich in angemessener Position auf der Belegschaftsliste zu finden. Wie gewohnt würden die Damen sich wohl gemeinsam um die Leitung der Einrichtung kümmern, Raven in Nachtschicht und namentlich im Sinne des Prestiges, Lenore faktisch in der Tagschicht…und wann immer Ligeia sie zu ihrer eigenen Entlastung benötigte.

Daniel Peters, Ravens ehemaliger Schützling, sollte in jedem Fall für das Projekt gewonnen werden. Es konnte nicht schaden jemanden bei der Hand zu haben der einem einerseits manches verdankte, andererseits aber gleichermaßen die eigene Arbeitsweise als auch die Stadt als solche kannte…
Der Rest…primär klassische Personalgesuche. Man würde aufgrund der benötigten baulichen Prozesse ohnehin um eine gewisse Vorlaufzeit nicht herum kommen. Vielleicht würde Daniel aber auch noch eigene Kollegen oder Schützlinge empfehlen und einbringen wollen… Abwarten.


Darüber hinaus….?
Die Spitze des Füllfederhalters setzte vom Papier ab während die eben noch verklärten Smaragde ihre altbekannte Schärfe wiedererhielten.
Ligeias Blick glitt hinüber zu dem Ordner.

Hatte sie noch etwas übersehen?

Bedächtig schlug die weiße, linke Hand der Doktorin erneut nach und nach jede Seite der vorliegenden Unterlagen um, dieses Mal von hinten beginnend.

"Thing of evil…prophet still if bird or devil…."

Sinnend und repetierend gleichermaßen murmelte die Untote für eine Weile nichts als jene beiden Verse, ganz so als würde ihnen eine Antwort auf alle Fragen der Gegenwart innewohnen.

Lenore schwieg. Dergleichen Gebaren waren ihr durchaus geläufig. Ein verstohlener Blick auf die Notizen Ravens verschaffte der Guhlin zumindest die beruhigende Gewissheit, dass die Psychiaterin durchaus weiterhin Herrin ihrer Sinne sein musste. Immerhin galt ihr Tun letztlich doch der Planung des Projekts.

Gut. Sehr gut…erleichternd…

Nicht dass die Blutsklavin je ernsthaft am Verstand ihrer Gebieterin zweifeln würde. Es war bloß so, dass sie zuweilen doch von den exzentrischeren Angewohnheiten der Schwestern verblüfft sein musste, obgleich weniger von deren Existenz als solcher, sondern mehr von der konkreten Ausführung.

In jedem Fall schien es, als wäre die Angelegenheit mit dem benötigten Verwaltungsakt beinahe ausgestanden. Die Unterlagen der Stadt hatten augenscheinlich Hand und Fuß, waren nicht zu beengend und eine Absprache mit der Prinz hinsichtlich des Ganzen hatten bereits stattgefunden bevor sie sich überhaupt an andere Instanzen gewandt hatte.

Hieß das nun, man konnte sich getrost mit einem finalen Projektentwurf, basierend auf den Akten, wieder an die Stadt wenden und die nötigen Verträge abschließen? Hieß es nun einfach vor den Altar treten, sein 'Ich will' geben und dann erst einmal das Bauamt machen lassen?


Oder würde beim zweiten, dritten oder vierten Mal Sichten und Differenzieren des Gesamtbildes hin zum gewünschten, ersehnten Ergebnis noch etwas eigentümliches, gar unwillkommenes auffallen? Vielleicht Namen oder Institutionen, welche die Malkavianerin aus irgendwelchen Handreichungen für die Primogene der Stadt, kannte? Oder zumindest damit abzugleichen vermochte? Zumindest würde sie die ihr vorliegenden Namen von Kainskindern mit denen, welche ihr in den Akten unterkamen, abgleichen. Man konnte ja nie wissen wer wo vielleicht mitmischte, gar mit dem offiziell bekannten Namen…

Ganz abgesehen davon, dass man ja nicht wissen konnte in wie weit die Akademie vielleicht hier und da Erwähnung finden mochte…
 
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Es war wirklich so, daß wohl die höhere Macht hier die Feder geführt hatte, vielleicht sogar der grosese ICH, der ihr dieses zum Geschenk vor die Füsse gelegt hatte, der irgendwo im Hintergrund die Fäden für sie gezogen hatte.

Für jemanden vom Clan des Mondes war es durchaus möglich, sogar wahrscheinlich, denn konnte es wirklich sein, daß jemand anderer als ein Mondkind genau wußte was sie wollte. Alles was sie ändern wollte, waren Kleinigkeiten, nichts was irgend jemand bemägeln würde, sogar die Lage der Anwesen waren so, wie man es sich vorstellte, hatte der alte Ahn schon lange in die Zukunft geblickt und alles gerichtet? War es nicht immer so, daß der Mond alles richtete.
 
Immer wieder und wieder wälzte Raven die Akten, unaufhörlich besagte Worte repetierend. Ihre Stimme wurde dabei allmählich jedoch immer leiser und leiser während ihre Sprechgeschwindigkeit im Zuge des Mantras zunahm.

Es war gut, es musste gut sein. Ganz und gar.
Ja, natürlich! Darum war sie gekommen. Der Rabe, aus Plutos Sphären entsandt über traurige Pfade gen des Landes jenseits des Raumes, jenseits der Zeit. Dort, wo auf finsterem Thron er regiert...
So einleuchtend musste es scheinen! Fürwahr!
Hoch der Luna! Hoch Selene!

Dann, wie aus einer Laune heraus so plötzlich, verharrte Ligeia in kerzengerader Haltung. Sie verstummte.
Ihre Lider schlossen sich zu schweigender Andacht.
Ja....so musste es richtig sein.
Vollkommen außer Frage stand die bloße Möglichkeit sich jener Berufung zu entziehen, dem Drängen, auf welches hin die lange Fahrt hatte erfolgen müssen. Der Wille galt. Gemeinwohl.
Allumfassende Gewandheit in jedem Vergleich trotzender, alle Möglichkeiten beschränkten Vokabulars menschlicher Zungen trotzender Weisheit in ihrer Herrlichkeit.
Beinah war ihr als konnte sie die Hände an ihren Schultern, an ihrem Angesicht fleischlich spüren. Weiches, kaltes, totes Fleisch Artverwandtes bestärken, lobend.
Gnade des Fürsten liebster Kinder, droben im mystisch weißen Mondenschein. Getauft im Glanz der einzig würdigen Gefährtin seiner Allunfassbarkeit! Geleit im Beisein der vollen, goldenen Gestirne, frei aller Reiche entsteigender Nebeldünste. Statt dessen Erkorene silberweißer Lichtgespinste.

ICH!
Es durchfuhr Raven wie Eiseskälte und Magmahitze zugleich. Erstmals hallte es dergleichen in solch unverkennbarer Lautstärke, unumstößlichen Kontext in ihr.
Dem Midas nicht unähnlich hinterließ manches Mondkind silbrige Spuren auf Wegen abseits derer, die anderen zu beschreiten möglich sein dürfte. Und doch vermochte ihr Glanz auf weniger noble, weniger leuchtende Fäden im großen Webstuhl der Moiren abzufärben.

In seltsam allmählicher Weise hob Ligeia ihre Hände, bloß um sie vor dem eigenen Angesicht ineinander zu falten.

"Frau Doktor...? Ist alles in Ordnung mit ihnen?" Beinahe konnte die Guhlin die Ausläufer dessen, was sich just in diesen Sekunden im Kopf ihrer Herrin abspielte, spüren und obgleich sie doch eine entfernte Ahnung davon hatte, was in der Untoten vor sich ging, schwang in ihrer Stimme instinktiv unumstößliche Sorge mit. Eine Beklemmung, welche wohl auf die Zeit zurück ging, als Eleanore Augenzeugin dessen geworden war, was das erste Erwachen der Stimmen seiner Zeit für eine nicht unbeträchtliche Zahl an Tagen, vielleicht gar Wochen aus der Psychiaterin gemacht hatte....

Ligeia allerdings blieb stumm.

Es machte Sinn, alles.
Natürlich tat es das!
Konnte man an dergleichen Zweifel hegen? Mit nichten!
Zu keiner Zeit gab es eine wahrhaftige Einsamkeit. Nicht für die Erleuchteten der silbrigen Himmelsscheibe.
Zustimmendes Murmeln.
Kein einzig sein, kein allein sein. Kein Ausweg. Kein Versteck.

Das demütige gehauchte "Ich danke euch", welches seinen Weg schließlich sowohl in den Geist als auch über die bemalten Lippen fand, konnte zweifelsohne nicht ungehört bleiben, wem auch immer es gebührte.

Nach einer kleinen Weile ließ die Untote schließlich ihre Hände wieder sinken um sie auf den eigenen, überschlagenen Knien abzulegen.
Ihr Blick fiel sogleich auf die Blutsklavin an ihrer Seite. Ein leichtes Nicken Ligeias.

"Natürlich. Sorge dich nicht. Es ist alles in bester Ordnung."

Bliebe bloß die offene Frage nach der Rolle des bedauernswerten Caitiffs in den Plänen der Großen. Aber wer wäre Raven der Vorsehung zuwider zu handeln, ihre Richtigkeit in Frage zu stellen?
Und vorgesehen war offenkundig keinerlei Kooperation mit einem anderweitigen Sektor der Medizin - so sehr es ihren eigenen Präferenzen und Zielsetzungen auch abträglich sein musste.

Allerdings nahm sich Ligeia in all ihrer mitunter beinahe zu außerordentlichen Überzeugung von ihrem eigenen Verstand und Schaffen nicht heraus zu glauben, man habe nicht bereits längst erwogen was ihr vorschwebte. Es musste einen Grund dafür geben warum man die von ihr angestrebte Kooperation offenkundig in sanftem Druck zu ersticken suchte.
Von welcher Art dieser Anlass auch immer sein sollte...
Tatsächlich wünschte sich die Malkavianerin in Momenten wie diesen, wenn ihr Eigen-Sinn mit dem Ansinnen des Blutes zu kollidieren drohte, dass ihr ein wenig, bloß ein kleines bisschen mehr offenbart werden würde als bloß das, was Recht und Unrecht sein würde.
Das 'Warum' war es, dem ihr Interesse galt und das doch so gerne vom höchsten Hofstaat übergangen wurde.
Ob ihr jemals die Gnade der endgültigen Einsicht zuteil werden würde? Die finale, erhebenste aller Erleuchtungen?

Nicht, dass sie sich herausnehmen würde selbst entscheiden zu wollen, wann sie für welche Einblicke bereit sei. Das wäre doch reichlich töricht und vermessen.
Doch wie komplex konnten die Kausalitäten, welche dazu führten, dass man die Psychiatrie so gnädig in ihre Hände gab, gar quasi als gemachtes Nest präsentierte, die Kollaboration mit Köning allerdings so diskret vehement boykottierte, schon sein?
Was wäre schon dabei?
Sie zumindest -bei ihrer Schwester konnte man das ja nie so genau sagen- hatte ja nicht vor den Mann zu heiraten oder Freundschaftsarmbänder auszutauschen...

Neugierig wäre Ligeia auf eine Antwort zu dieser Sache durchaus, aber damit rechnen tat sie nicht. Zumal es ihr fern lag undankbar zu erscheinen. Immerhin war das genaue Gegenteil der Fall und ihre Demut für die Gnade des Clans kannte kaum Grenzen.

Hatten die Stimmen nun keine Einwände oder Mahnungen mehr vorzubringen und war auch das Studium der Papiere bis hierhin ohne weitere Ergebnisse verlaufen, war es vermutlich bald an der Zeit einen erneuten Termin auf dem Amt auszumachen.
Da die Scherbentochter nicht anstrebte sonderliche Modifikationen an dem, was man ihr angereicht hatte, vorzunehmen und die obersten Instanzen Kenntnis von ihrem Vorhaben hatten, wäre es wohl auch gänzlich überflüssig noch einmal die Aristokratie zu behelligen.

Ein wenig schien das Ganze ihr doch wie ein Ei anzumuten. Blieb bloß zu hoffen, dass die Schale nicht vorzeitig zerbrochen wurde, immerhin war die Befruchtung längst geglückt.
Die Brutphase hatte begonnen.
Ein Traum im Traum.
 
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