Rezension Hunter: The Vigil [B!-Rezi]

Manny

Relikt
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Hunter: The Vigil


WoD2 Kernregelwerk


Mit gemischten Erwartungen habe ich vor kurzem White Wolfs sechste Spiellinie in Empfang genommen und nach einem Zwischenhalt im Bücherregal auch noch die Zeit gefunden, ein paar Worte darüber zu verlieren. Nun schlüpft man nicht in die Rolle des schrecklichen Monsters, sondern in die des Monsterjägers; wobei an einigen Stellen unterstrichen wird, dass man als Jäger auch selbst zu weit gehen kann und die Unterschiede leicht verblassen.

Vom Layout her folgt es den üblichen Standards White Wolfs: Hardcover, Reflexionen am Cover, dreifarbig - für dieses System hat man sich ein dunkles Grün ausgesucht. Mit fast vierhundert Seiten macht es beinahe schon Mage: The Awakening Konkurrenz.

Wie dem auch sei, Hunter: the Vigil setzt wie immer das World of Darkness Kernregelwerk voraus. Es stützt sich vermutlich sogar noch ein wenig mehr auf das Kernregelwerk als die übrigen Systeme, wage ich zu behaupten, aus dem einfachen Grund: Hunter ist im Gegensatz zu seinen fünf älteren Brüdern (Changeling, Mage, Promethean, Vampire, Werewolf) kein „Greater Template“ und stützt sich damit weniger auf Template-eigene Regeln. Für jede Monströsität gibt es eigene, stark vereinfachte Regeln, und das erspart potentiellen Spielern und Erzählern zusätzliche Einkäufe.

Im Folgenden fasse ich Kapitel für Kapitel die einzelnen Inhalte des Systems zusammen. Da ich eigentlich sämtliche Systeme der World of Darkness in meinem Regal stehen habe, habe ich aber vermutlich einen anderen Fokus als der geneigte Leser, der sich noch an die Systeme herantappt.

Kapitel 1 – „Shadows Cast by Firelight“ – beginnt nicht unüblicherweise mit einem thematischen Appetithäppchen, welches die Motivation und die Hintergründe des Systems etwas beleuchtet. Es erzählt, wie viele der Menschen übernatürliche Gefahren abwinken; und dennoch gibt es seit Anbeginn der Menschheit vereinzelte Leute sowie organisierte Gruppen, die sich diesen Machenschaften stellen. Die genannten Beispiele in diesem Kapitel reichen zurück bis hin zur Zeit der Assyrer. Es wird auch kurz über Jäger das antiken Rom berichtet, die Aves Minerva. Für Spieler, die ihr Setting nach Vampires Requiem for Rome richten, möglicherweise ein brauchbares Stück Information, um den Spielern das Unleben in der Nekropolis etwas zu erschweren.

Im Weiteren werden Jäger und ihre (Des-)Organisation geschildert. Die kleinste Form einer Gruppe bilden die Cells (Tier 1), welche lediglich aus einer handvoll Leute bestehen. In etwas größeren Dimensionen gibt es Compacts (Tier 2), im Wesentlichen ein Zusammenschluss mehrerer Cells. Zuguterletzt wären noch die Conspiracies (Tier 3) zu nennen, die auf einer organisierten Makroebene operieren und Zugriff auf bemerkenswerte Ressourcen haben. Trotzdem muss nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen herrschen, frei nach dem Motto „der Feind meines Feindes ist nicht immer ein Freund“.

Dieses Kapitel beleuchtet aber nicht nur die Jäger, sondern auch schon in Grundzügen die Gejagten. Vampire, Geister, Zombies, Lykanthropen, Besessene, Dämonen, Feenwesen, Hexen, Zauberer, Magier, Kultisten, verrückte Abtrünnige und noch namenlose Anomalien führen die Liste an. Die Mechaniken dazu finden sich aber erst in einem späteren Kapitel wieder.

Kapitel 2 beschäftigt sich traditionell mit dem, was in jeder World of Darkness Grundregelwerkpublikation an dieser Stelle geschrieben steht – „Character Creation“. Gegenüber den anderen großen Systemen der World of Darkness gibt es hier allerdings nichts in Richtung Supernatural Advantage. Auch die Morality-Skala verändert sich nicht und bleibt dieselbe, wie bei jedem normalen Menschen. Anstelle dessen bietet das Template für jedem Jäger Professionen, und damit eine freie Spezialisierung in einer der zwei zugehörigen Fertigkeiten. Für Jäger, die einer Cell angehören, war’s das bereits. Jäger aus Compacts oder Conspiracies haben aber noch weitere Vorteile: Zugriff auf die individuellen Ressourcen und speziellen Eigenheiten der Organisation. So gesehen gibt es also keine Fünf-mal-Fünf-Achsen; anstelle dessen sind die Achsen aus n Professionen mal m Organisationen geformt. Das Grundregelwerk selbst zählt: 20 Professionen, sechs Compacts und sechs Conspiracies.

Nach dem üblichen Beispiel des Charaktererstellungsprozesses und dem Fragenkatalog folgen ein halbes Dutzend an außerordentlich detailliert dargelegten Vorzügen

  • Endowments • bis •••••,
  • Favored Weapon ••,
  • Professional Training • bis •••••,
  • Safehouse • bis ••••• (mit den Unterkategorien Size, Cache, Secrecy und Traps)
  • Status (Compact/Conspiracy) • bis ••••• und
  • Torture Suite • bis •••.
Kapitel 3 bringt etwas mehr Licht in die Organisationen selbst, daher der unmissverständlicheTitel „Hunter Organizations“. Der Anfang des Kapitels wird durch umfangreichere Beschreibungen über die individuellen Organisationen angeführt, in einem ähnlichen Layout wie Bünde aus Requiem, Orden aus Awakening oder Stämme aus Forsaken. Zuerst folgen die Compacts:

  • Mitglieder der Ashwood Abbey jagen aus einem Grund: dem Kick; und der Compact scheint das Leitmotto zu haben: „Wenn man schon jagt, warum soll man dann nicht Spaß mit seinem Opfer haben?“ Die Definition von Spaß ist allerdings etwas breiter gestreut.
  • The Long Night ist ein Compact, der sich stereotypisch am ehesten mit religiös motivierten Fanatikern beschrieben lässt. Diese Endzeitpropheten bilden sich im Wesentlichen aus hoffnungslosen Sündern, die sich keine Chancen in den Himmel zu kommen ausrechnen und daher lieber das Beste aus ihrer Zeit machen, bis hin zu Jägern, die stark daran glauben Teil von Gottes Plan zu sein.
  • The Loyalists of Thule versuchen offenbar sich ein Wissensmonopol aufzubauen. Sie wollen nicht nur jede mögliche Information über die dunklen Seiten der Welt wissen, sie müssen sie wissen.
  • Jäger des Network Zero gehen einen etwas technokratischeren Weg, indem sie das Web 2.0 mit Mitschnitten und Videos von übernatürlichen Geschehen überfluten. Sie wollen die Leute mit diesen Videos konfrontieren, und ihnen diese Dinge bewusst machen.
  • Null Mysteriis wird hauptsächlich von Akademikern und rationalen Wissenschaftlern bevölkert; sie sind der Ansicht hinter diesen paranormalen Dingen muss es eine wissenschaftliche Erklärung geben.
  • The Union ist eine relativ legere Kopplung einzelner Leute; das macht diese „Organisation“ ziemlich heterogen, aber unter dem Strich haben sie eines gemeinsam: Monster sind Monster, und wenn sich jemand zu proaktiv einem Mitglied der Union nähert, werden sie sich aktiv verteidigen.
Nahtlos folgen nun die sechs Conspiracies im selben Layout. Zur Erinnerung, diese unterscheiden sich von den Compacts durch zwei wesentliche Dinge: die Größe der Organisation, und die Mittel. Conspiracies haben Zugriff auf den Endowment-Vorzug – spezielle Ressourcen und Ausrüstung passend zur jeweiligen Organisation. Die Hintergründe werde ich aber nur teilweise anmerken, um den Rahmen nicht zu sehr zu sprengen.

  • Aegis Kai Doru, vermutlich eine Organisation, mit der Lara Croft eine Freude hätte. Der Stereotypische Jäger, der vorsintflutliche Schrecken tief in antiken Bauten dem Garaus macht, um Artefakte und Mittel zu finden, die das Böse besiegen sollen. Passend dazu die Endowments: Reliquien aller Art, unter anderem ein Aegis Talisman – nach der griechischen Mythologie war Aegis das Schild des Zeus –, der jede handelsübliche Rüstung in den Schatten stellt.
  • Die Ascending Ones versuchen die Menschheit seit der Zeit der antiken, mesopotamischen Hochkulturen zu beschützen, aber nicht zwangsläufig indem sie Vampire, Werwölfe und Konsorten einfach wild abschlachten; hin und wieder finden sie auch eine diplomatische Lösung und können ihr Gegenüber überzeugen. Interessant ist auch, dass sie die Mittel und Wege der Alchemie benutzen, mit Elixieren, die passende Namen haben wie „Auge des Ra“ oder „Blut der Cobra“.
  • The Cheiron Group stellt einen weiteren interessanten Ansatz dar; ihre Wege und Mittel stammen aus der Pharmazie, und ihre Jäger werden selbst (teilweise) zu Monstern gemacht, um für das Wohl der Menschheit zu streiten. Ihre Art der Endowments ist Thaumatechnology, ein Weg, um die Körperteile der Gejagten mithilfe von etwas Technologie gegen sie einzusetzen.
  • Den Mitgliedern der Organisation The Lucifuge wird nachgesagt, in ihrem Blut befände sich etwas dämonisches. Und tatsächlich: sie sind Abkömmlinge Satans, und sie schließen sich weltweit zusammen, um den Ausgeburten der Hölle ein Ende zu bereiten. Feuer bekämpft man mit Feuer: ihre Endowments sind dunkle Mächte, die sie entfesseln können. Und D&D Freunde dürften sich vielleicht auch freuen – oftmals ziehen diese Jäger niedere Dämonen (Imps und Konsorten) als Vertraute an.
  • Malleus Maleficarum sind eine erzkatholische Organisation, die seit dem dunklen Mittelalter das Böse vom Angesicht von Gottes Erde fegen. Nicht völlig unerwartet gestalten sich ihre Endowments: Anrufungen von Gott, seinen Heiligen und die übliche Palette an Wunderwirkungen.
  • Für Leute, die lieber High-Tech mögen gibt es dann noch Task Force: VALKYRIE. Ausgerüstet mit der Next Generation’s Next Generation an Equipment versucht diese militante Gruppe sich damit einen kleinen Vorteil bei der Jagd zu verschaffen. Und wer hat schon nicht gerne ein außerordentlich nett gepimptes Sturmgewehr und ätherische Nachtsichtbrillen zur Hand?
Danach folgen noch interessante Ansätze zu Research&Development für jede der genannten Endowments, sei es zur Entwicklung von neuen oder zur Verbesserungen von alten, und ein paar kurze Guidelines zur Erstellung eigener Organisationen.

Kapitel 4 beschäftigt sich dann mit „Special Rules and Systems“. Da Hunter per se kein wesentlich unterschiedliches Template verglichen mit Sterblichen ist, fallen auch nicht besonders viele Änderungen an. Das Kapitel beginnt zuerst mit einer Zweiteilung des Erfahrungssystems – Experience bleibt nach wie vor erhalten, aber dazu gesellt sich nun Practical Experience. Im Grunde genommen ist es ein kleines Rechenspiel; die Gruppe (und nicht jeder Charakter individuell) kriegt einen gewissen Basissatz an Practical Experience nach jeder Szene, plus/minus eine arbiträre Anzahl an Punkten je nachdem, was die Jäger denn nun eigentlich gelernt haben. Aspekte, die diesen Wert beeinflussen, sind unter anderem: erfolgreiches Anwenden von Taktiken, jemanden das Leben retten, ein Monster um die Ecke bringen, dramatische Fehlschläge und außergewöhnliche Erfolge auf der Plusseite; Verluste in den eigenen Reihen, fehlgeschlagene Taktiken und verletzte Dritte auf der Minusseite. Was die Spieler nun mit dieser Erfahrung anstellen ist ihr Kaffee – man kann damit Willenskraft zurückgewinnen, Fertigkeiten sowie Vorzüge steigern (nicht aber Attribute) oder neue Taktiken erlernen.

Und damit wären wir auch schon beim nächsten Thema: Taktiken. Essentiell ist es nichts anderes als eine Anwendung der Teamwork-Regeln aus dem World of Darkness Kernregelwerk. Und es werden eine Vielzahl an Beispieltaktiken vorgeführt, von Exorzismus bis hin zur kontrollierten Abfackelung von Monstern, ohne gleich die halbe Nachbarschaft mit in den Brand zu setzen. Selbstverständlich gibt es vorab noch ein elaboratives How-To für die Entwicklung eigener Taktiken.

Danach folgt etwas, das man salopp als Armory light bezeichnen könnte. Ausrüstung, Ausrüstung und noch mehr Ausrüstung. Einige Dinge sind ziemlich überflüssig, wenn man Armory ohnehin schon im Bücherregal stehen hat; aber es gibt noch einige neue Dinge wie z.B. Polygraphen. Damit endet das 44-Seiten-leichte Kapitel auch schon.

Kapitel 5 widmet sich dann wieder dem „Storytelling“. Es beginnt mit dem üblichem Theme & Mood 101 und einigen Anhaltspunkten für angehende Erzähler. Nachdem das nun schon mein sechstes gelesenes Grundregelwerk der neuen World of Darkness ist, kann ich dem Abschnitt aber nicht mehr viel abgewinnen.
Schon interessanter wird das Kapital ab der Mitte: Regeln und Mechaniken für Dämonen. Was sie sind, wer sie sind, was sie können und was sie wollen. Hier gibt es allerdings nicht allzuviel zu lesen, aber man sollte sich damit schon einen guten Überblick über Lesser/Greater/Elder Demons verschaffen können, und es werden auch kleinere Informationshäppchen darüber geliefert, wie sie mechanisch nun eigentlich erstellt und behandelt werden können. Im Grunde genommen folgen sie den Regeln für Twilight Familiars; interessant hier ist, dass die Bans in zwei Arten gegliedert werden: einerseits gibt es bans of torment, Dinge, die der Dämon nicht darf. Und auf der anderen Seite gibt es bans of task, also Dinge, die der Dämon tun muss. Einen Bann zu brechen bedeutet letalen Schaden pro Runde und den Verlust von Willenskraft. Ein Dämon tut also gut daran derartiges nicht auszuplaudern.

Darauf folgt das Hand-in-Hand gehende Thema Kultisten. So mundan das Thema auch klingt, nicht jede Kultistengruppe ist einfach nur desillusioniert oder folgt einem bestimmten Dogma. Es gibt einige, die Dämonen aktiv dienen, aus welcher Motivation heraus auch immer – und das macht sie interessant für Hunter.

Den Abschluss bilden Antagonisten; verrückt gewordene aus den eigenen Reihen, Monster aus den anderen Reihen, und deutlich vereinfachte Regeln zur Handhabung der letzteren (in der Annahme, dass nicht jeder Hunter-Spieler serienmäßig die übrigen Systeme im Bücherregal hat).

Appendix One: „Morality and the Vigil“ überfliegt noch einmal kurz, wie sich die Jagd mit den eigenen Moralvorstellungen (nicht) vereinen lassen und bringt noch ein paar Hunter-eigene Geistesstörungen ins Spiel.

Appendix Two: „Philadelphia – Monster Hunting in the City of Brotherly Love“ liefert ein typisches, kurz ausgearbeitetes Setting, wie es offenbar obligatorisch für die Grundregelwerke der World of Darkness ist.

Und danach folgt nur noch der Index, das einseitige Charakterblatt sowie die Ankündigungen für das erste Hunter-Supplement Witch Finders (Sept. 2008) und die übliche, kryptische Anspielung auf das System des nächsten Jahres Geist (2009), und ein wenig Werbung für World of Darkness Publikationen und dem Storytelling Adventure System.

Meine zwei Cent: im Grunde genommen ein solides und brauchbares System. Es folgt hauptsächlich den einfachen Mechaniken des Kernregelwerks, der Erzähler findet mehr als genug mögliche Methoden die Spieler zu beschäftigen und die Spieler finden mehr als genug Methoden Monster zu jagen. Allerdings fühlt es sich ein wenig oberflächlich an - ein Umstand, den die kommenden Supplements sicherlich beseitigen werden. Wenn man lediglich das Kernregelwerk und Hunter hätte, dürften neue, mit der World of Darkness unvertraute Spieler etwas auf losem Boden stehen. Unter'm Strich sind das für mich 3½ von 5 möglichen Punkten.

Aber es hat auch starkes Potential mit anderen Büchern kombiniert zu werden. Antagonists aus der Kernlinie wäre für mich die erste Wahl. Requiem for Rome für etwas Vampirjagd im antiken Rom. Und natürlich die Hauptlinien selbst, um nicht nur vereinfachte Regeln für die Monster zu haben, Changeling: The Lost, Mage: The Awakening, Promethean: The Created, Werewolf: The Forsaken und Vampire: The Requiem.

As long as monsters have prowled the darkness,
brave and desperate mortals
have walked out of the protective ring of firelight
to pursue those shadows.

Some die.
Many go mad.

But someone else always picks up the candle
and steps into the dark...
- Text der Rückseite​
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