Die Legenden erwachen (2.Handlungsstrang)

Doomguard

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(Fortsetzung von http://www.blutschwerter.de/f29-schreibstube/t5662-der-beginn.html?highlight=legenden )

Nicole Uhrmacher hatte Frühschicht. Die Müdigkeit war inzwischen verschwunden und mit geübter Routine arbeitete sie die nie kleiner werdende Schlange an ihrer Kasse ab. Seit kurzem hatten sie diese Scannerkassen auch in ihrem Aldi, eigentlich mochte sie das alte System mehr, sie war sogar schneller und konnte den Block blind bedienen, es hatte etwas meditatives gehabt, die Wahrnehmung und die Kopf zu Hand Koordination fließen zu lassen, sie dachte mit einem Hauch von Wehmut zurück....
„13, 57 bitte, 15, macht 1,43 zurück. Bon? Nein. o.k. Schönen guten Tag.“
Plotzlich wurde sie aus ihrer Routine gerissen und ihr ganzer Körper war angespannt. In diesem Moment stürmten 3 Maskierte mit Messern bewaffnet in den Markt und verlangten das Geld. Nicole sah sie nur an, und ohne, dass es ihr bewusst war, schraubte sie mit der einen Hand hinter ihrem Rücken den Besenstil ab, der in der Kassierkabine an der Wand lehnte. Als der eine sich ihr zuwendete, mit dem Messer vor ihrer Nase herumfuchtelte und in barschem Tonfall verlangte, dass sie ihre Kasse öffnete , überkam es sie, und sie handelte:
Während sie aufstand rammte sie ihm überraschend den Besenstiel von unten an den Hals. In dem Augenblick, als er sich röchelnd an den Hals griff, und zu Boden ging, sprang sie, sich mit einer Hand abstütztend, auf das Förderband und stürzte sich, während der blaue aldi-kittel hinter ihr herwehte, auf den nächsten Angreifer. Nicole war noch nie eine Schönheit gewesen, als sie sich nun mit aggressiven Gesicht ihre 80 Kilo in Bewegung setzte, wichen alle Kunden angstvoll zurück. Von dem Aufschrei aufgeweckt, wandten sich die beiden übrig gebliebenen Räuber ihr zu, sie zögerten einen Moment, da war sei auch schon bei ihnen und lies den Stock in einem schwungvollen Bogen auf einen der beiden niedergehen. Dieser riss noch die Hand hoch und versuchte den Hieb abzuwehren. Der Stab krachte auf seinen Arm und zerbrach. Er schrie auf, lies das Messer fallen und rannte seinen gebrochenen Arm haltend hinaus. Nicole sammelte das Bruchstück auf, wirbelte die beiden abgebrochen Stücke einmal in den Händen und näherte sich dem dritten Angreifer.
Dieser streckte eine Hand in einer Abwehrbewegung aus, lies das Messer fallen, drehte auf dem Absatz um und lief. Sei warf ihm noch eines der Bruchstücke hinterher, welches aber nur die sich schliessende Tür es Ausgangs traf.
Stille senkte sich über den Ort, welche nur von dem schweren Aten Nicols unterbrochen wurde. Dann erhob sich, wie ein Windstoss, der durch trockenes Hebstlaub fegt, der Applaus. Trotz der Anstrengung, die sie nicht gewohnt war, fühlte sie sich erhaben und ihr Blick wanderte über die Kunden, die sie ausnahmslos bewundernd applaudierend anstarrten.

Eine Stunde später, nachdem ihre Aussage zur Protokoll genommen wurde, sie zahlreiche Glückwünsche und Bewunderungen entgegen genommen hatte, war sie auf dem Weg nach Hause. Ihr Chef hatte ihr, nachdem die Formalitäten geklärt waren, frei gegeben und angeboten, das er selber trotz personaler Engpässe, ihre Schicht für heute übernimmt. Erst auf dem nach Hauseweg kam sie zur Ruhe. Sie war noch nie besonders schnell darin gewesen, sich Gedanken zu machen und brauchte ihre Ruhe und Zeit. Sie begriff erst jetzt, was überhaupt vorgefallen war. Was hatte sie getan? Wieso konnte sie auf einmal mit einem oder gar zwei Stöcken umgehen. Hatte es etwas mit den Träumen zu tun, die sie in letzter Zeit öfter hatte? Besonders, wenn sie ausgiebig meditiert hatte? Sie wusste eines, es war gut und gerecht, was sie getan hatte und es erfüllte sie mit einer fundamentalen Befriedigung, auch, wenn sie es sich nicht erklären konnte.
In Gedanken verloren bemerkte sie den jungen Mann nicht, der vor den Schaufenster eines Sportgeschäftes stand und sich einen Bogen ansah. Sie rannte in ihn hinein. Er taumelte einen halben Meter zurück und wollte zu einer Entgegnung ansetzen, sie holte schon für eine Entschuldigung Luft als sich erkennen in ihnen breit machte.
„Bijan“, sagte er, während sie im Selben Augenblick „Jenna“ ausrief. Dann sahen sie sich einen Augenblick an. Es war eine komische Situation, sie hatten das Gefühl, sie kannten sich schon Ewigkeiten, aber eindeutig war Nicole eine Frau und er offensichtlich ein Mann, die Namen konnten also nicht stimmen. Er fasste sich als erster wieder, lächelte ihr zu, reichte ihr die Hand und äusserte in jovialem Tonfall: „Es ist ja schon ein schöner Zufall, zwei Verwechselungen, bei zwei unbekannten Leuten, ich hab den Nachmittag frei, wollen wir einen Kaffe trinken gehen? Ich geb ihn auch gerne aus.“
Etwas perplex nahm sie die Hand des hochaufgeschossenen recht schlacksig wirkenden Mannes im Anzug, „Nicole, ist mein Name, ich habe auch frei.“ Sie schüttelte die Hand etwas länger, wurde etwas verlegen als es ihr auffiel und sagte dann, „gerne komme ich mit.“
 
AW: Die Legenden erwachen (2.Handlungsstrang)

Kurze Zeit später saßen sie beim Kaffee und erzählten sich ihre Lebensgeschichte: Nicole war 24 war nach ihrem Realschulabschluss und der Zusage zur Einzehandelskauffrau bei Aldi bei ihren Eltern ausgezogen und schlug sich seit der Zeit mehr oder weniger alleine durchs Leben. Sie war sich darüber im klaren, dass sie nicht die schlauste Person auf Erden war und zog aus den Tatsachen, dass sie sich erkannt hatte und dass sie ihr leben alleine geregelt bekam eine große Zufriedenheit. Sie wollte niemals etwas besonderes sein. Klar war es gut, Ansprüchen zu genügen, aber, jeder hatte seine Grenzen, sie auch ihre. Mit dem Bewusstsein fand sie ihren Platz im Leben und gestaltete es in den Freiräumen die sie hatte. Ihre Figur machte ihr schon etwas zu schaffen, aber wichtiger war es, die Kollegen nicht hängen zu lassen und der Einzelhandel war eine harte Branche. Obwohl sie einige Freunde hatte, war es bei ihr nicht zu einer Liebesbeziehung gekommen, die länger als 2 Jahre gedauert hatte. Sie begann dann auch, ihre innere Zufriedenheit in der Selbsterforschung und der Meditation zu suchen. Alltägliche Vorgänge konnten umso intensiver erlebt werden, wenn man sie nur bewusster wahrnahm. Diese Erkenntnisse erlangte sie während und nach ihren ausgiebigen Meditationen. Die Welt war eine andere, wenn man seine Mitte gefunden hatte. Dann konnte man auf die Straße gehen, den Wind spüren, den Boden unter den Füßen, ein einfaches essen genießen, und man war glücklich.

Anders war da Stefans Werdegang. Es war sowieso merkwürdig, warum die beiden sich beim ersten treffen so ausgiebig und geradezu intim über ihre Vergangenheit austauschten. Sie schob es auf die Erlebnisse und musste sich auch eingestehen, dass der schlanke junge Mann sehr attraktiv auf sie wirkte, aber, sie ahnte schon, dass da noch mehr war, was sich zur Zeit nicht beschreiben lies. Ihm viel das Ganze in dem Bewusstseinsgrad zur Zeit gar nicht auf. Er reflektierte im Moment die Besonderheit der Situation nicht in der Tiefe und lies seinen Impulsen freien Lauf, was selten genug vorkam. Hätte er über sich und die Situation nachgedacht, wären ihm möglicherweise einige Hinweise gekommen, aber so erzählte er freizügig, was sein Werdegang so hergab:

Er war Sohn einer Akademikerfamilie. Sein Vater ist Richter, seine Mutter Lektorin. Sein weg war klar. Er sollte Jura studieren. In der schule war er beliebt, überdurchschnittlich, aber nicht besonders auffällig. Wenn es um abgründe des menschlichen Wesens ging, konnte er zwar mitdiskutieren, aber zu wirklich neuen oder genialen Gedanken fehlte ihm der besondere Funke. Seine erste Beziehung, die 5 Jahre anhielt, wurde durch sie ohne, dass er es nachvollziehen konnte, vor einem Jahr beendet. Wäre er mit höherer Selbstkritik ausgestattet gewesen, hätte er bemerkt, dass er ihr zu langweilig geworden war, sie dies aber nicht klar direkt und unmissverständlich äußern konnte. So war er enttäuscht, aber der anerzogenen Toleranz bezüglich Beziehungsfragen folgend, akzeptierte er ihre Entscheidung als den freien Willen der Individualität und stürzte sich mit erhöhtem Eifer in das Jurareferendariat. Mit den Beziehungen seines Vaters war es kein Problem, eine Stelle zu finden, bei der er von einer guten Bewertung ausgehen konnte, ohne sich zu sehr zu belasten. Intuitiv aber auf einer unterbewussten Ebene empfand er Respekt für Menschen wie Nicole, die sich seit ihrer Jugend alleine hatten durchs Leben schlagen müssen.

Wäre diese mysteriöse Verwechslung nicht geschehen, hätten die beiden sich niemals ausgetauscht. Dem Zufall war es also zu verdanken, dass sie einen Einblick in den Horizont des anderen erhielten, der ihnen ansonsten vermutlich das Leben lang verschlossen geblieben wäre. Von der Intensivität und der emotionalen und geistigen Ausschüttung des Momentes getragen, bemerkten sie nicht, dass es Abend wurde. Sie beschlossen, etwas essen zu gehen. Stefan schlug "Eamons Inn" vor, dort sei es zwar etwas verraucht, aber es gäbe Guinnes guten Whisky und ein hervorragendes Irish Stew. Stefan projizierte seine ansonsten nicht ganz so stark ausgeprägte Impulsivität auf das Ausleben der irischen Kultur. Natürlich in dem festen Glauben, er sei besser, als die ganzen Pseudo-Iren, die immer nur so tun würden, aber einen irischen Whisky nicht von einem schottischen unterscheiden konnten und glaubten, sie wären echte Irenfans, nur, weil sie Looreena Mckennith hören grüne wiesen toll finden und gerne Whisky trinken.

Auf dem Weg dorthin erzählte er ihr davon, wie es ist, ein richtiger Ire zu sein. Sie hörte ihm aufmerksam zu , fand zwar, dass er sich nicht so stark von denen unterschied, die er kritisierte, war aber angenehm davon berührt, mit welcher Leidenschaft er seine "Wahrheiten" erzählte. Um ihn nicht zu unterbrechen schwieg sie aber und setzte die Rolle des geduldigen Zuhörers fort. Es mochte 21.00 sein, sie sahen im Schein der Laterne zwei Menschen vor der Kneipe, aus der aber kein Licht kam. Dies machte Stefan stutzig. Einer Eingebung folgend, hielt er Nicole zurück: "ich seh mir das mal an!" Instinkte, die er nicht bewusst wahrnahm übernahmen die Kontrolle. Ein geübter Blick erfasste die Umgebung:

"Ich wechsel die Straßenseite. komme dann von der anderen Seite", wobei er auf eine kaum wahrnehmbare Mülltonne gegenüber der ihnen zugewandten Seite der Eingangstür wies. Nicole kniff kurz die Augen zusammen, wüsste aber sofort, was er meinte und drückte ihm zuversichtlich, ohne ein Wort zu sagen, die Schulter. Mehr brauchten sie nicht, als ob sie schon Hunderte solcher Situationen zusammen erlebt hätten und es keiner weiteren Kommunikation bedürfe. Während er auf der anderen Seite im Schatten verschwand, näherte sie sich vorsichtig dem Geschehen. Sie sah, wie der der Mann sich bückte und etwas Erde aufhob, diese mit seinen Händen in die Länge zog und einen etwa halben Meter langen Stab formte. Die rothaarige Frau stand etwas ungeduldig daneben. Trotz des Geschlossenschildes, welches sie inzwischen auch erkannte, traten die beiden in die dunkle Schänke ein. Die Tür war offensichtlich offen, was jemanden, der nicht gerade um die Sicherheit eines Freundes bangt, vermutlich stutzig gemacht hätte.
 
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