Einfluss [17.05.2008] Erobert zurück was uns gehört

Drakun

Pflanze
Registriert
9. Juni 2007
Beiträge
3.841
Es war noch recht früh am Abend als Marta durch die Straßen lief. Nicht ganz so früh wie eigentlich geplant, doch manchmal kam einem eben die Arbeit zuvor.

Ihre Kleidung war eine Mischung aus Eleganz und Pragmatismus, ohne dabei besonders teuer zu wirken. Schuhe mit kurzen Absätzen - gerade genug sie etwas größer wirken zu lassen, doch keine Behinderung. Und dazu noch erstaunlich leise im Auftritt. Strumpfhose und knielanger Rock sowie Shirt und eine kurze Jacke darüber; keine Seide heute - wenn man einmal von der Unterwäsche absah. Doch das ging hier niemanden etwas an, ihr Weg führte sie ins Industriegebiet.

Auch wenn nach außen kaum sichtbar, war die junge Frau angespannt. Weniger wegen der Gegend und ihren Leuten. Marta konnte sich verteidigen und war schnell genug, im Zweifelsfall den Rückzug anzutreten. Es ging eher um ihre eigene Art und das, was vorher geschehen war.

Ihre Aufzeichungen waren nun auf dem Weg aus der Stadt. Die Übergabe verlief reibungslos. Insbesondere hätte sie wohl kaum ein Außenstehender als solche wahrgenommen, selbst wenn er sie verfolgt hätte. Der Bote war einer von Johanns Mitarbeitern - Marta nur entfernt bekannt und offiziell ein vollkommen Fremder. Es gibt immer noch ein Risiko. Auch wenn die handschriftlichen Kopien nicht ihre Worte oder Form trugen. Man muss es ihn Kauf nehmen.

Die Bezahlung bestand dieses mal nicht aus Geld sondern einem Stapel Papier. Wenn man wollte konnte man diesen mit dem Namen 'Akten' versehen. Diese trugen zwei Namen und einen hatte sie bereits gehört. Fabian Mahler. Marta war über die Menge an Informationen erstaunt - das waren wohl die Schattenseiten der Berühmtheit. DJ deSade - interessante Namenswahl. Aus Zeitgründen hatte sie die Schrift bloß kurz überflogen. Zuletzt gesehen in Finstertal - vor etwas zwei Wochen. Ihre Eingebung hatte sie nicht getrogen. Der Herr konnte hier durchaus bekannt sein.

'Hier' war mitten im Industriegebiet, wo die zierliche Frau allein auf der Straße stand, die Haare im Knoten und die Tasche über der Schulter. 'Hier' war, wo die Wände selbst erzählten, wer erwünscht war und wer nicht. 'Hier' war das kleine Büro mit dem großen Namen.

Erobert zurück was uns gehört!
 
Das Büro war wirklich klein. Es war wohl ein ehemaliger kleiner Elektroladen gewesen. Das Schaufenster war unter den vielen Plakaten die die Ungerechtigkeit der Welt anprangerten und zu Demonstrationen und Diskussionsforen einluden nur noch zu erahnen. Die Tür stand offen und lauter Punkrock dröhnte aus dem Aufenthaltsraum in dem sich etwa ein halbes Dutzend Personen beiderseitigen Geschlechts aufhielten. Es roch nach schalem abgestandenem Bier und kaltem Rauch, der die markante Geruchsnoten von Marihuana aufwies. Die Leute drinnen schienen sich in keinster Weise darum zu kümmern welche Aussenwirkung sie hatten. Niemand beachtete Marta die draussen vor der Tür stand und sich das merkwürdige Bild drinnen betrachtete.
 
Lange stand sie nicht da, schließlich hatte sie gefunden was sie suchte. Und offen ist der Laden auch noch - perfekt. Die Plakate, die Musik und auch der Geruch war ihr vertraut, weckte Erinnerungen. Wahrscheinlich bist du mal wieder overdressed. Nicht, dass ihr das etwas ausmachte, doch diesmal war sie sowohl fremd als auch ohne Begleitung. Mal sehen wie sie reagieren. Marta betrat den Laden. Wer sie sah würde das Klackern von Absätzen erwarten, doch war nichts dergleichen zu hören.

"Einen schönen guten Abend!"

Wer unaufmerksam gewesen war, würde die zierliche Frau mit dem umwerfenden Lächeln wohl erst jetzt bemerken.
 
Mehrere Leute in Lederjacken, Jeans und T-Shirts mit diversen Motiven wandten sich Marta zu. "Stella, haben wir ne neue Schreibkraft angestellt?" war die erste Reaktion von einem pickligen jungen Mann mit Irokesenschnitt dessen Begrüssungsgeste für Marta gleichsam als Zu- oder ein Abwinken gewertet werden konnte. Die Angesprochene war einer pummelige Frau um die 1,60 Meter mit rasiertem Kopf aus dem blonde und grüngefärbte Stacheln hervorsprossen. Mehrere Ringe und Piercings "verschönerten" das runde aber nicht unsympathische Gesicht das sich dem Sprecher empört zuwandte.
"Halt die Fresse Gremlin! Hier ist jeder Volksgenosse willkommen der die richtige Sicht auf die Welt hat. Vielleicht kommt sie von der Arbeit, ist was mit dem Du es auch mal probieren könntest." Dann wandte sich Stella an Marta.
"Hi, ich bin Stella. Schön das Du vorbeischaust. Wie heisst Du und magst Du nen Tee oder ein Bier? Kaffee ist nicht, weil dadurch die arbeitende Landbevölkerung in Südamerika und Afrika von den kapitalistischen Blutsaugern in Knechtschaftund Abhängigkeit gehalten wird."
Das auch Tabakfarmer unter der Fuchtel der Industrie standen schien die Jugendlichen nicht weiter zu stören wenn man die riesige, stetig wachsende Qualmwolke über den Anwesenden auf den Sitzkissen im Aufenthaltsbereich betrachtete.
Stella führte Marta in einen kleinen Büroraum mit einem von Papier überwuchertem Schreibtisch. Daneben stand neben einem Kopierer ein Wasserkocher auf einem kleinen Kühlschrank. Stella warf Marta einen fragenden Blick zu und schenkte sich dann eine Tasse voll die auch schon bessere Zeiten gesehen hatte und auch mal einen Lappen und Putzmittel hätte vertragen können.
Insgesamt roch auch das Büro nach kaltem Rauch und Schweiß. Marta konnte nur hoffen das der Enthusiasmus bei der Bekämpfung des faschistischen Klassenfeindes durch die Aktivisten deren Weigerung zur Teilnahme an der täglichen Körperpflege gleichkam.
 
Auf die Frage des 'Gremlins' antwortete sie mit einem leicht amüsierten Grinsen. Volltreffer, Junge! Na gut - man hatte sie nicht hier angestellt, doch der Bursche bekam schonmal eine Eins im Berufe raten. Knechtschaft und Abhängigkeit gibt es auch bei anderen Dingen. Die Welt bestand aus Abhängigkeit, also konnte man das wohl kaum als Vorwurf nutzen. Blieb die Knechtschaft zu bekämpfen - leicht gesagt, doch ganz und gar nicht einfach. Und Kaffeeboykott macht die Welt kaum besser. Gut, vielleicht schon. Wer konnte sich da sicher sein?

"Danke, ich bin Marta. Braucht ihr denn eine?"

Das war sowohl an Stella als auch an den Rest gerichtet und der zweite Teil wohl hauptsächlich als Scherz gemeint. Wobei sich Marta wohl nicht zu fein dafür war, wenn sie jemand ersthaft fragte. Fürs erste lächelte sie der Gruppe zu und lief der Frau anmutig hinterher. Wieder erwartete man das Klackern von Absätzen und wieder war kaum etwas zu hören. Wie ich sehe, haltet ihr Ordnung... Blieb zu hoffen, dass sich das nur auf die 'unwichtigen' Dinge beschränkte.

"Ein Bier, wenn es nichts ausmacht."
 
Stella wies kommentarlos auf den Kühlschrank in dem sich eine erstaunliche Menge eisgekühlten Biers befand. Daneben standen mehrere Kästen mit Nachschub an denen der Zettel hing "Kühlschrank auffüllen". Letzteres schien die einzige Aufgabe zu sein die durch die Bank von allen erfüllt wurde.
Stella hielt Marta ein wegwerffeuerzeug hin um die Flasche zu öffnen das sie aber nach der Öffnung sofort routinemäßig wieder einkassierte.
"Also Marta - was führt Dich her?"
 
Marta nahm Flasche und Feuerzeug entgegen. Die Marke sagte ihr nichts, vielleicht ein lokales Erzeugnis. Also für Nachschub sorgt ihr schonmal. Mit einer schnellen und routinierten Bewegung öffnete sie die Flasche.

"Danke!"

Stella bekam Feuerzeug und Kronkorken zurück.

"Ich bin erst seit kurzem in der Stadt, daher weiß ich nicht ganz wie die Dinge hier laufen. Jedenfalls habe ich einen alten Bekannten getroffen - Martin, denke mal du kennst ihn."

Könnte ich drauf wetten. Das Büro war zu klein für eine große Bewegung und Martin war eines der aktiveren Mitglieder. Jemand, dessen Tätigkeit sich nicht darauf beschränkte hier herumzusitzen und qualmend eine Flasche Bier nach der anderen hinunterzukippen, sollte sicherlich mit ihm zu tun gehabt haben. Stella mit Sicherheit, der Gremlin... erste Eindrücke können täuschen.

"Er hat gemeint es gäbe hier einige Schwierigkeiten. Wenn möglich würde ich gerne helfen."

Wenn nötig auch als Schreibkraft. Der Papierstapel sprach Bände und schließlich war sie ja auch dafür ausgebildet.
 
"Martin...welcher Martin, das ist hier mehr ein Sammelbegriff denn ein Name. Wie heisst der weiter oder wie sieht der aus? Aber eigentlich ist das auch egal, was willste den wissen? Biste vorher schon mal woanders aktiv gewesen und wenn ja wo und was habt ihr so für Aktionen gerissen?"
Stella wirkte offen und schien quatschen zu wollen, wer hier wen kannte war offensichtlich nicht wichtig und sie schien auch nicht zu befürchten das Marta undercover für den Verfassungsschutz tätig war.
 
"Martin Hoffman - ist vor ein paar Jahren hierhergezogen. Ich denke mal, er ist auch öfters im Hovel - da habe ich ihn zumindest getroffen."

So halb zufällig. Es war einfach die Art Schuppen, in der man ihn schon vorher häufig getroffen hatte. Ob es am billigen Bier, der groben Atomosphäre oder den potentiellen Sympathisanten lag, konnte sie gar nicht sagen. Zumindest ist er kein Fan von Edeldiskos... Aber es ging ja nicht wirklich um Martin. Nach Paul frage ich ihn wohl lieber persönlich.

"Hauptsächlich in Dresden - Aufmärsche verhindern, Plakate aufhängen, Plakate aufhängen um Aufmärsche zu verhindern."

Sie lachte leicht. Natürlich war da noch mehr, doch die Blockaden waren wohl am bekanntesten.

"Obwohl ich gestehen muss, dass ich hauptsächlich in der Organisation tätig war. Irgendwie muss man ja Plakate und Sticker heranschaffen. Und die Leute manchmal auch."

Welche Art von Leuten ließ sie offen. Da gab es ja verschiedene Gruppen: indirekte, direkte und direkte Aktivisten. Und es wäre wohl der größte Witz, wenn sie jetzt behaupten würde, mit der letzten nichts am Hut zu haben.
 
"Ach den Martin meinste...der heisst bei uns Hoffi...aber der is ok, wenn auch ein wenig Oldschool, so auf 68er Art, halt irgendwie scheißliberal."
Stella grinste Marta schief an. "Sieht so aus als wolltest Du meinen Job, obwohl Job nennen es die kapitalistischen Knechte wohl nur wenn es bezahlt wird. Aber ich könnte hier schon jemanden gebrauchen der mitmachen will,wobei die betonung auf dem Machen liegt. Ich schlage vor Du kommst immer mal wenn es Dir passt vorbei und lernst erstmal die Leute kennen. Allerdings ist das hier kein so heisses Pflaster wie in Dresden, wir versuchen viel Aufklärung zu machen und die arbeitenden Massen aufzuwecken. Also viel Arbeit und wenig Ertrag in vielen Kreisen."
 
"Naja, ganz so alt ist er dann auch nicht."

Marta zwinkerte Stella zu. Tatsächlich war sie ihm vom Alter her näher, als man vermuten würde. Das ist also dein Part. Bezahlung war natürlich nicht angedacht, es ging schließlich darum etwas zu erreichen. Den Lebensunterhalt verdiente man sich anderswo. Kein so heißes Pflaster? Frag mal unsereins! Aber gut, wenn es wenigesten in Teilen vernünftig lief.

"Wenn mehr Arbeit auch weniger Nazis bedeutet, ist es doch eine gute Sache. Wie läuft es denn zur Zeit?"

Es war interessant zu wissen, was für Aufklärung gemeint war und wie genau die arbeitenden Massen aufgeweckt werden sollten.
 
"Das rechte Pack ist derzeit nicht sehr umtriebig, die Stadt hat derzeit andere Probleme und das Argument die Juden hätten das Trinkwasser vergiftet ist auch nicht mehr ganz so neu. Mir macht eher Sorgen das die große bürgerliche Partei des rechten Flügels heute Nacht einen sehr konservativen und als harten Hund geletenden Richter als Kandidat für das Bürgermeisteramt vorgestellt hat. Mit dem am Ruder werden wir bei Versammlungen Probleme mit der Polizei kriegen...aber gewählt ist der ultzrakonservative Sack ja noch nicht."
 
"Dann sorgen wir halt dafür, dass das auch nicht passiert."

Ein scharfes Profil machte die Leute häufig auch angreifbarer. Und gerade Ultrakonservative tendierten dazu sich selbst zu widersprechen, die eigenen Regeln im geheimen weniger ernst zu nehmen oder einfach massive Arschlöcher zu sein. Und damit kann man arbeiten.

"Wissen wir genaueres über den Herren?"
 
"Vorzeigekarriere als Jurist, als Richter durch unnachgiebige Schwarzweißpolitik und harte Urteile bekannt geworden, vor allem hat er was gegen Drogendelikte. Ist bisher nicht groß öffentlich aufgetreten, aber nach einigen harten Urteile gegen Kriminelle ein Liebling der Medien. Galt bisher politisch als nicht genau zuzuordnen, wurde angeblich von Freunden die den Christdemokraten nahe stehen dort ins Spiel gebracht. Ansonsten ist der Typ so ehrbar das er gegen sich selbst Anzeige erstattet hat als er versehentlich ein Stopschild überfahren hat - ein echter Vorzeigebürger, zum Kotzen der Typ."
 
Arschloch also... Mit echter Ehrbarkeit hatte so etwas wenig zu tun, eher mit Kleinlichkeit und Heuchelei. Niemand, den man wirklich an der Spitze sehen wollte, wenn man nicht gerade einer der unleidlichen Rentner war, die es liebten, Nachbarn, Bekannte und Fremde zu verpetzen, sollten sie sich nur einen kleinen Fehltritt erlauben. Nicht genau zuzuordnen... Möglicherweise war die Partei seine Schwachstelle.

"Vielleicht sollten wir uns mal ansehen, warum er nun gerade für die Christdemokraten antritt. Aus Überzeugung? Oder vielleicht aus anderen Gründen?"

Das war durchaus beidseitig gemeint. Warum präsentierte die Partei einen quasi-externen Kandidaten anstelle eines eigenen? Gab es vielleicht Rivalen, die sich zurückgesetzt oder gar hintergangen fühlten. Man sollte die Augen offen halten.

"Aber das hier und jetzt klären zu wollen, ist vielleicht etwas vermessen. Wie wärs wenn wir wieder nach drüben gehen? Möchtest du mir vielleicht die anderen vorstellen?"
 
"Das blöde ist das die Kandidatur von jemandem von außerhalb eigentlich eine gute Idee aus deren Sicht war. Die Leute die da waren sind alle profillose Parteifunktionäre ohne echtes Charisma. Der Neue ist ein ganz anderer Typ, sieht gut aus und spricht dadurch die Hausfrauen an und ist tough genug bei den Männern anzukommen. Wer auf die Idee gekommen ist versteht was davon wie man einen Kandidaten rauspickt. Aber Du hast Recht, lern erstmal die Leute kennen."
Stella erhob sich und stellte Marta die bekiffte Bande im Aufenthaltsbereich vor.
 
Nach der Vorstellung drehte sich das Gespräch noch um verschiedenste Dinge. Jeder schien sein eigenes kleines Lieblingsthema zu haben, das sowohl etwas über die Persönlichkeit als auch über die Stadt im Allgemeinen aussagte. Einer der Anwwesenden bedauerte zum Beispiel den schlechten Zustand des Industriegebietes, während jemand anderes gerade darin den Reiz der Gegend sah. Im Allgemeinen war die Runde aber wesentlich netter und aufgeschlossener als ein Außenstehender anhand ihres Aussehens vermuten würde. Naja, manche zumindest: Ein kleiner, bulliger Junge names 'Kalle' Warum zum Teufel nennt ihr jemanden 'Kalle', der eigentlich Tobias heißt? schien dafür bekannt zu sein, den 'Glatzen gern mal seine Meinung zu geigen' - nicht unbedingt beschränkt auf verbale Aktionen.

Auch wenn es offiziell keinen Anführer gab, in der Praxis erfüllte Stella diese Rolle, zumindest für die hier anwesende Truppe. Das lag wohl hauptsächlich daran, dass sie die beste Kombination aus Idealismus, Elan, Selbstbewusstsein und Erfahrung mitbrachte. Und wohl am wenigsten intus hat. Der 'Gremlin' auf der anderen Seite schien zu saufen wie ein Loch, ohne dass es irgendetwas auszumachte. Marta ertappte sich dabei, wie sie seine Flaschen nach dem Zusatz 'Alkoholfrei' absuchte. Vergebens. Fast hätte man ihn für einen Blutsauger halten können, wäre er nicht mehrere Male verschwunden um Platz für ein neues Getränk zu schaffen. Bei Marta zeigte das Bier natürlich ebenfalls keine Wirkung und vom Rauch hielt sie sich fern - oder besser gesagt dem Tabak, denn der allgegenwärtigen Wolke konnte sie nicht ausweichen. Was auch nicht schlimm war, da sie sich weder am Geruch noch der Luftqualität störte.

Eine ganze Weile später - zwei der Anwesenden hatten sie bereits verlassen und zwischenzeitlich hatte ein junger, ziemlich aggressiv gestylter, Mann hereingeschaut, war aber trotz sichtlichem Interesse an der Neuen wieder verschwunden, weil er sich noch mit einigen Leuten treffen wollte - entschied sich Marta zum Aufbruch. Sie erhob sich, verabschiedete sich von den Verbliebenen und begab sich dann mit elegantem Schritt zur Tür - der ein weiteres Mal das erwartete Absatzgeräusch vermissen ließ. Dort blieb sie noch kurz stehen. Ein letztes Winken zum Abschied und sie fand sich auf der Straße wieder.

Draußen spazierte sie zunächst eine Weile - wenn sie sich nicht versehen hatte in südliche Richtung - und ging noch einigen Gedanken nach, bevor sie ihr Handy zückte und - wie am Vorabend abgesprochen - die Nummer von Michael Köning wählte. Mal schauen, ob du noch Lust hast. Schließlich war es schon etwas später geworden.
 
Nicht erreichbar. Verdammt! Da hatte sie sich wohl etwas zu sehr festgequatscht. Die sind wahrscheinlich schon längst fertig. Das war aber kein Grund sich die Sache nicht trotzdem noch einmal anzusehen, auch wenn sie stark bezweifelte, dass sie allein besonders weit kommen würde. Erstmal musst du da ankommen. Also lief sie ersteinmal weiter. Die Straßen das Industriegebietes waren - oder wirkten - verlassen, was um diese Zeit wohl zu erwarten war. Natürlich konnten Teenager-Gruppen oder auch diverse Kriminelle diese Ruhe nutzen um ungestört ihren Geschäften nachzugehen. Ricco hat etwas von Überfällen erzählt... Angst hatte sie keine - gegen einfache Menschen konnte sie sich durchaus verteidigen. Dunkle einsame Gassen waren dabei eher von Vorteil. Wenn es nur vernünftige Beute gäbe, könnte man hier ganz gut jagen.

Ziel war die Bahnbrücke in der Nähe des Hauptbahnhofes. Dumm nur, dass sie sich hier eher schlecht als recht zurechtfand. Die Gegend war wohl kaum danach angelegt worden, dass sich Leute, die ihr nicht regelmäßig einen Besuch abstatteten, ohne weiteres zurechtfinden konnten. Jedenfalls läufst du gerade nach Süden. Zumindest mit allergrößter Wahrscheinlichkeit - einen recht großen Fehler inbegriffen. Martas Plan bestand darin zunächst die Richtung zu halten, bis sie die verdreckten Gassen hinter sich hatte. Dann kannst du ja immer noch korrigieren.
 
Es war spät in der Nacht und die Straßen menschenleer, zumindest wenn sich Marta nicht direkt zum Haupteingang des Hauptbahnhofs begeben wollte, aber auch dort würden wohl nur noch Stadtstreicher, einsame Taxifahrer auf Nachtschicht und der ein oder andere Kneipenbesucher auf dem Nachhauseweg anzutreffen sein.
Im Schienenbereich des Bahnhofs und seiner Umgebung war niemand mehr anzutreffen.
 
Und da stand sie an der Hauptstraße unweit der gesuchten Brücke. Wunderbar! Es zahlte sich eben doch aus, wenn man den Stadtplan im Kopf hatte. Ein bisschen Glück ist sicher auch dabei. Zum Bahnhof wollte sie allerdings nicht. Stattdessen schritt sie auf die Brücke, auf deren anderer Seite sich die massigen Umrisse des Schwarzen Kamp abzeichneten. Mal bei Ricco vorbeisehen? Eher nicht! Der würde sie bloß als leichtsinnig und unbelehrbar abstempeln, hatte er sie doch explizit vor der Gegend gewarnt. So schnell kapierst du halt nicht.

Eine fette Ratte schien ihr in einem Anflug vor Größenwahn zeigen zu wollen, dass sie nicht das einzige aktive Wesen hier in der Gegend war. Scheinbar an Menschen gewöhnt spazierte das Ding direkt über ihren Weg - nur um seinen Fehler zu bemerken und panisch davonzuschießen. Das Rascheln entfernte sich und verschwand dann ganz. Etwa auf halber Strecke wurde die Stille deutlich brutaler verletzt. Lautstark rauschte ein Zug aus dem Bahnhof, unter der Brücke leicht hinter ihr hindurch und dann nach Norden durch das Industriegebiet. Erstaunlicherweise verklang dieses Geräusch kaum langsamer als das Rascheln zuvor. Fast als wollte die Gegend jegliche Geräuschquellen so schnell wie möglich ausschalten. Und heute tat Marta ihr den Gefallen.

Leisen Schrittes erreichte sie die andere Seite, wo die Wohnblöcke nun endgültig Gestalt angenommen hatten. Größtenteils herrschte Finsternis hinter den Scheiben. Nicht mehr viele wach... Ein Blick auf ihr Telefon verriet, dass die Zeit zwar nicht wirklich eng wurde - doch ihr wohl auch nicht gerade im Überfluss zur Verfügung stand. Du sputest dich besser. Die junge Frau beschleunigte ihre Schritte, was zumindest der Stille nicht ganz gelegen kam, da ihre Absätze nun doch ein ganz leichtes Klacken erzeugten.
 
Zurück
Oben Unten